gottschalk sagt
: Die Revolution kann losgehen

Natürlich darf man im Eiscafé sitzen und zu seiner Begleitung sagen: „Guck‘ ma‘, wie sieht der denn aus!“, wenn einer vorbei geht. Dafür ist der Sommer da. Viele wissen ja gar nicht, dass der neue Casual Look auf Glamour setzt, weil sie nicht wie ich die „Elle“ lesen, und sehen dann auch dementsprechend aus.

Sehe ich aber auf RTL irgend einen Style-Experten, wie er in einer nordrhein-westfälischen Innenstadt über Angehörige niedriger Einkommensgruppen herzieht, weil deren Casual Look immer noch auf mutige Farbkombinationen und gewagte Schnitte setzt, wechsle ich direkt die Seite und sage: „Halt doch mal den Rand, Du, Du, Du Metro, Du!“ Scheiße aussehen ist Menschenrecht. Das haben wir in den Achtzigern durchgesetzt.

Dies ließ sich vorgestern in dem Film „WAAHNSINN – Der Wackersdorf-Film“ im NRW-Sender WDR noch mal sehr schön beobachten. Ebenso die Tatsache, dass Wolfgang Niedecken schon damals genauso wenig überzeugend nachdenklich gucken konnte wie heute: Man sieht förmlich die Sprechblasen im Vakuum hinter seiner Stirn. Der Wolfgang, ich (der unbegabteste Steinewerfer der Welt), die Bürgerinitiative Schwandorf, der liebe Gott (der Franz-Josef Strauß im rechten Moment zu sich holte) und die Logik des Kapitalismus haben ja damals zusammen den Bau der Wiederaufbereitungsanlage verhindert. Eine Koalition, wie sie so in der Geschichte nie wieder zustande kommen sollte.

Eine andere Wahrheit über die Achtziger Jahre, darüber sollten Sie mal reden, Oliver Geißen: Sie waren ganz schön kompliziert. Sagte man als Mann man, hieß es, das sei feige, man solle nicht über man reden, sondern über sich. Sagte man aber zu oft ich, wurde einem vorgeworfen, nur über sich zu reden: „Merkst Du das? Jeder Deiner Sätze fängt mit ich an!“ Ein ziemliches Dilemma, vor allem, wenn man gerne über sich redet. Auch sonst wurde viel genervt: Hatte man Schnupfen, kam garantiert jemand, der einem erklärte, das sei psychosomatisch („Du hast die Nase VOLL, verstehst Du?“), und hatte man Pech, bekam man zum Geburtstag einen blöden Kuchen, der Hermann hieß. Die jungen Leute wissen doch gar nicht, wie gut sie es heute haben, mit den selbst gebrannten CDs.

Eine Geschichte wie aus den Siebzigern trug sich dieser Tage in Moers zu. Der größte Parteispender der Bundesrepublik heißt Michael May (taz berichtete). Er schenkte der MLPD 2,5 Millionen Euro. Die Revolution kann also losgehen, Gelder sind vorhanden. Gut, der Arbeiter zickt noch ein bisschen, aber wenn Wolfgang, die MLPD, der liebe Gott und ich... CHRISTIAN GOTTSCHALK

Fotohinweis: CHRISTIAN GOTTSCHALK lebt in Köln und sagt die Wahrheit – alle zwei Wochen in der taz