berliner szenen Ein Schweißfilmtag

Raus aus dem Brutofen

Alles war plötzlich sehr existenziell. Hatte man zuvor, als freier Prekarist sozusagen, immer machen können, wonach einem gerade war, musste man sich nun fügen. Die Erfahrung der letzten Wochen hatte einen gelehrt, dass bestimmte Dinge nicht mehr gingen – viel zu rauchen beim Schreiben am Vormittag zum Beispiel. Oder völlig planlos darauf zu warten, was der Tag mit einem vorhat.

In der Zeit der Möglichkeit saß man am offenen Fenster, im Wind des auf „low“ gestellten Ventilators. Das Haus auf der anderen Straßenseite schien seine Hässlichkeit verloren zu haben, wohl weil die Bewohner alle Fenster mit blauen und roten Stoffen verhängt hatten. Selbst hatte man die Fenster geschlossen und nasse Tücher davorgehängt, und dann hatte sich das Zimmer in einen halbdunklen Brutofen verwandelt.

Gegen Mittag begann die Zeit der Unmöglichkeit, in die man glitt, wenn man der Sonne nicht vertraute, die einen drängte, die Wohnung zu verlassen, in diesen seltsamen Schweißfilmtag dort draußen. Der Tag, der als Meer der Möglichkeiten anfing, wurde tyrannisch. Der Hitze nicht angemessenes Verhalten wurde umgehend mit Konzentrationsabfall, Kreislaufkomplikationen und Schwindelgefühlen bestraft.

Nachmittags trieb man sich wie ein Hund auf der Straße oder in Geschäften herum, neigte zu Fehlkäufen oder las Zeitung in der AGB. Auf der Straße traf ich einen alten Freund. Als Junggeselle hatte B. lange Zeit das Projekt verfolgt, der beste Liebhaber Berlins zu werden. Er sagte, früher seien alle Titten schön gewesen. Der apodiktische Satz des Mammaphilen schien von einer irritierend blöden Schönheit zu sein. Seltsam auch, dass die Sonne einem den Lärm gleichgültig werden lässt. DETLEF KUHLBRODT