„Ich liebe motherfucking euch!“

Trotz krampfiger Startphase: Robbie Williams performt sich im Olympiastadion durch einen vollkommenen Abend

VON CHRISTIANE RÖSINGER

Seit Tagen ist Robbie Williams jetzt schon in der Stadt. Aber man hört nicht viel von ihm – wenig wird berichtet über Robbiemania und Fanhysterie und das bisschen Fußballspielen. Am Donnerstagabend gibt es noch reichlich Karten vor dem Olympiastadion, zu Schleuderpreisen um die 15 Euro. Auf der anderen Seite: An zwei Tagen hintereinander kommen 68.000 Zuschauer, tausende Fans lagern nachts vor dem Stadion auf Isomatten, um am nächsten Abend ganz vorn stehen zu können. Da kann man nicht von einem Sänger auf dem absteigenden Ast sprechen!

In den Dimensionen des Olympiastadions wirkt die Bühne fast zierlich, wie eine Konzertmuschel im Kurpark. Zusätzlich gibt es ein angeschraubtes Gestänge à la „fliegender Teppich“ oder einer ähnlichen Kirmesattraktion, ein schlangenförmiger Catwalk ragt ins Publikum. Punkt halb neun beginnt die Show, ganz amtlich mit einem Feuerwerk. Zu den Klängen von „Radio“ tobt ein furchtbar angestrengter Robbie Williams in Jeans, Gehrock und giftgrünem Krawattenschal über die Bühne. Die Videoleinwand zeigt sein verbissenes Gesicht, wie versteinert hängen die Mundwinkel nach unten. Oje, oje, was ist los? Ist er krank, wie Gerüchte sagen, und muss sich jeden Abend fit spritzen lassen?

Pflichtbewusst krault er sich schon beim zweiten Stück, „Rock DJ“, in der Unterhose. Aber auch das scheint ihm keine rechte Freude zu machen. Ein heiterer, lockerer Lad ist nicht anwesend. Auch die Wasserflasche zwischen den Beinen zaubert ihn nicht hervor. „Alberner Robbie“, will man rufen, „du bist doch schon 32 und immer noch diese zwanghaften, pubertären Jungswitze!“ Erst als bei „Trippin“ die Backgroundsänger zur Unterstützung auf die Bühne kommen, gewinnt er an Sicherheit, zeigt die tätowierten Schwalben auf dem Bauch und demonstriert seine Deutschkenntnisse: „Ich liebe motherfucking euch!“ „Guten Abend, Damen und Herren.“ „Alles fit im Schritt?“ Das ist überhaupt sein Lieblingssatz.

Er gibt er den Kasper und lässt skandieren: „Give me a D for Deutschland, give me a K, give me a Linsman!“ Robbies Publikumsbelustigung ist aber trickreicher als eine Klassenclownerei: Immer ein Wechselspiel zwischen Schmeicheln und Ärgern, wenn er schleimt, teilt er auch aus. „Linsman“ also – und danach direkt mit scheinheiligem Gesicht die Geschichte vom jüngsten Italienaufenthalt. Er erntet erboste Pfeifkonzerte und singt daraufhin die italienische WM-Siegesmelodie „Campione del Mondo“. Langsam kommt er in Schwung.

Rücklings gibt er sich den Fans in der ersten Reihe hin. Dutzende Mädchenarme umfangen ihn sehnsüchtig – Dresscode ist hier das Bikinioberteil –, und als er sich umdreht und eine Blonde lange auf den Mund küsst, geht ein kollektiver Aufschrei durchs Stadion. Musikalisch funktionieren die ruhigen, elegischen Stücke besser als die tanzorientierten. „Feel“ wird zu einem Gerührtheitshöhepunkt, aber auch das „Strong“-Karaokesingen gerät sehr stimmungsvoll. Beim alten Take-That-Hit „Back for Good“ persifliert Robbie sich selbst als jungen Boy mit den alten Tanzschritten.

Dann kommt „Rudebox“, die erste Single des kommenden Albums, zur Live-Uraufführung. Die englische Musikpresse wählte sie bereits zu „Robbie’s worst single ever“. In Berlin rappt Robbie oldschoolmäßig, eine eingängige Melodie schält sich nicht heraus, ab September wird man mehr wissen.

Zur Zugabe kehrt Robbie über die Kirmesgondel im Sportswear-Outfit mit „Let Me Entertain You“ zurück. Und dann ganz am Schluss, nach der zweiten Zugabe, steht er plötzlich allein auf der Bühne. Seit 15 Jahren komme er jetzt schon nach Deutschland, „and you always care for me, you always come to the show and buy my fucking records, thank you!“ Dazu sein ergriffenes Gesicht in Großaufnahme – es ist zu viel! Dieser fast zu intime, peinliche Moment hier mit Robbie und den anderen 68.000! Ich will doch nur, dass ihr mich liebt, scheint dieser einsame, ein bisschen kaputte Robbie da zu sagen.

Fällt man jetzt gerade voll auf seine clevere Masche rein, oder ist er vielleicht einfach ein bisschen weniger abgefuckt als alle anderen Superstars? Jedenfalls: Die zwei Stunden mit Herrn Williams waren keine Sekunde lang fad: Zuerst die Sorge um ihn, dann die Freude an seiner fortschreitenden Erholung, dann seine kleinen Frechheiten und Standardsexismen, die Songs, die Gondelfahrt, das Feuerwerk – und zum Abschied ein bisschen Pathos. Ein perfektes Konzert, ein vollkommener Abend.