Plastikköpfe dominieren Wahlkampf

Ab Montag lächeln sie wieder von allen Laternenpfählen: hoffnungsfrohe Politikergesichter. Doch die Revolution findet hinter ihnen statt. Denn auf dem Markt der Plakat-Platten tut sich einiges

Lüften wir zunächst ein nicht unwichtiges Geheimnis: Der Wahlsieger steht jetzt schon fest. Er ist elastisch, sieht glänzend aus und besticht durch seine extreme Widerstandskraft gegen alle Widrigkeiten. Nein, es ist nicht Klaus Wowereit von der SPD.

Der wahre Gewinner der beginnenden Parteienschlacht lächelt uns auch nicht breit von jedem Laternenpfahl an, im Gegenteil. Das hat er nicht nötig. Er wirkt im Hintergrund, gibt den Grinsegesichtern Halt, stützt die versammelten Strahlemänner und -frauen. Ein Hoch auf das Plastikplakat! Moderne Wahlplakate, ab Montag überall zu besichtigen, bestehen aus einem Plastegemisch, auf das die Konterfeis der KandidatInnen gedruckt werden – das Modell „Papier auf Holzfaserplatte“ wird zum Relikt der Diepgen-Ära.

Aus der SPD-Parteizentrale meldet Sprecher Hannes Hönemann: „Die neue Variante ist definitiv im Kommen. Sie ist einfach haltbarer – und hält sieben Wochen Sommersonne locker aus.“ Auch die CDU ist begeistert: „Sie machen weniger Arbeit. Wenn Sie mal 200 Plakate auf Platten geklebt haben, wissen Sie das“, berichtet Frank Marten vom Landesverband aus eigener Erfahrung. Allerdings: Schade ist das schon. Das Herumsauen mit jeder Menge Kleister und ParteikollegInnen auf Hinterhöfen bereitete manchem Bezirksstrategen kindliche Freude – und festigte zudem die Parteimoral.

Vorbei. Alles fertig bedruckt, alles abwaschbar, alles glatt und faltenfrei. Man könnte dies als Sinnbild für die Politik von heute nehmen, doch jede Schwurbelei von allzu glatten Karrieristen verbietet sich von selbst. Die Plasteplatte steht für das Gegenteil: Beständigkeit. Parteimitglieder pflegten in vergangenen Kampagnen die Botschaft alle paar Wochen zu überkleben. Erst verantwortungsvoll guckender Wowereit mit Allgemein-Slogan, dann Themen-Slogan Bildung mit lächelnder Lehrerin, dann, kurz vor dem Wahltag, lächelnder Wowereit. „Jetzt kleben unsere Genossen, die sich für Plastik entschieden haben, eine bunte Mischung“, sagt Hönemann.

Die Plasteplatten gelten zudem als politische Leichtgewichte (240 Gramm). Das ist bei manch Aufgedrucktem auch der Fall. Doch was hier dem Gemeinwohl schadet, ist dort ein Segen. Holzfaserplatten mit Papier wiegen 3 Kilo pro Stück, erzählt ein Bezirkswahlkämpfer. Da am Laternenmast das Sandwichprinzip gilt, ein Kopf vorn, einer hinten, kann der Plakatanbringer auf der Leiter ins Wackeln kommen. Und wacklige Wähler will keine Partei. ULRICH SCHULTE