die taz vor 19 jahren über staubsauger für sozialhilfeempfänger
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Um was sich vor bundesdeutschen Gerichten herumgestritten wird, drückt manchmal mehr über den Zustand der Gesellschaft aus als zig demoskopische Umfragen.

Da mußten sich jetzt Braunschweiger Verwaltungsrichter ernsthaft mit der Frage beschäftigen, ob Sozialhilfeempfängern ein Staubsauger zusteht oder ob es dieser Gruppe von Menschen – in Klammern: meist weiblich – zuzumuten ist, mit Lappen und Bürste auf dem Boden herumzurutschen.

Die Vorgeschichte dieses zynischen Streits: mehrere Behördengänge eines Antragstellers, Beschwerde beim zuständigen Amtsleiter, schriftliche Erwiderung des Sachbearbeiters, das Gericht wird eingeschaltet, womöglich auch ein Rechtsanwalt.

Das alles beschäftigt mittlerweile eine ungezählte Anzahl von deutschen Staatsdienern (sämtlich in Besitz eines solchen staubsaugenden Gerätes) und kostet inzwischen nicht nur deren Arbeitsstunden, sondern auch ein mehrfaches der Staubsaugerkosten von 100 Mark. Aber wenn eine Behörde sich auf einen Rechtsstreit einläßt, dann geht es nicht ums Geld, sondern ums Prinzip. Und das Prinzip heißt in dem „Staubsaugerstreit“: keinen Pfennig für Sozialhilfeempfänger, der den Anschein von Annehmlichkeit bei diesen erwecken könnte.

Die Brauchschweiger Richter haben es geschafft, dem Antrag auf einen Staubsauger stattzugeben, ohne an diesem Prinzip zu rütteln. Schon aus hygienischen Gründen sei ein Staubsauger geboten, meinten sie. Das mag auch die kleinkarierten Sozialamtsbürokraten befriedigen, denn Sozialhilfeempfängern mag es ruhig „dreckig“ gehen in diesem reinlichen Lande - nur dreckig sein darfs nicht.

Vera Gaserow, taz, 29. Juli 1987