Der Chemie-Cocktail fährt mit

Die Vattenfall-Cyclassics, einziges Weltcup-Rennen auf deutschem Boden, werden von den Doping-Enthüllungen der letzten Wochen überschattet. Funktionäre kündigen Kampf gegen Doping an

Von CHRISTIAN GÖRTZEN

Was wäre gewesen, wenn? Wenn Anfang Mai nicht die Praktiken des spanischen Dopingarztes Eufemiano Fuentes an die Öffentlichkeit gelangt wären? Wenn des Dopings zu 99,9 Prozent überführte Radprofis wie Jan Ullrich, Ivan Basso (Italien), Francisco Mancebo (Spanien) weiterhin betrügerisch ihrem Leistungsvermögen hätten nachhelfen können? Oder wenn der Tour de France-Sieger Floyd Landis (USA) nicht in schamloser Art mit Testosteron gedopt hätte? Vielleicht wäre Jan Ullrich gestern auf der Hamburger Mönckebergstraße federleicht auf die oberste Stufe des Siegerpodiums gehüpft. Tausende Menschen hätten den Sieger der „Vattenfall-Cyclassics“, des einzigen Weltcup-Rennens in Deutschland, enthusiastisch gefeiert. Und sie hätten nicht geahnt, welcher Mogelpackung sie in all den Jahren aufgesessen waren. Vermutlich wollten viele es auch gar nicht so genau wissen.

Mit der Überführung von Landis ist der letzte Beweis erbracht, dass der Profi-Radsport auf Lug und Betrug aufgebaut ist. „Internationaler Radsport der Spitzenklasse“ hieß es in der Ankündigung der Cyclassics. Welch Hohn! Wer unter den Sportlern ist denn wirklich Spitzenklasse, wenn er ohne die Zauberkräfte von Pillen, Epo oder Eigenblut-Nachschub auskommen muss? Nicht die Radsportler waren an diesem Wochenende in Hamburg die Stars, sondern die Chefs der drei deutschen Teams, die alle ein hartes Durchgreifen gelobten. An exponierter Stelle tat dies Rudolf Scharping, der Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer (BDR). Seit seiner neckischen Planscherei mit der Gräfin Pilati in einem Swimmingpool ist dem ehemaligen Verteidigungsminister nicht mehr ein solches Medieninteresse zuteil geworden.

„Unser Ziel ist es: Strich drunter. Alle, die mit Doping zu tun haben – raus!“, sagte Scharping. Er kündigte einen Drei-Stufen-Plan an. Es werde wesentlich intensivere Trainingskontrollen geben. Zudem werde von jedem Sportler ein individuelles Profil angelegt. Wichen die aktuellen Daten des Fahrers zu stark von jenen im Profil ab, würden der BDR und die Nationale Anti-Dopingagentur (NADA) tätig werden. „Drittens soll es eine Gesetzgebung geben, welche die Hintermänner trifft, also die Ärzte und Betreuer, die mit den Dopingmitteln Handel treiben.“

Einen schnellen Reinigungsprozess wird es im Radsport nicht geben. Das machte der ehemalige spanische Kelme-Profi Jesus Manzano am Sonnabend im ZDF-Sportstudio deutlich. Manzano nahm selbst Dopingmittel, er wurde aber trotz vieler Kontrollen nie positiv getestet. Bei der Tour de France 2003 kollabierte er auf der Etappe nach Morzine. Er verkraftete die Dopingmittel nicht mehr. Danach stieg er aus dem Profisport aus. Manzano gilt seitdem als Kronzeuge im Kampf gegen das Doping. „Der Arzt gibt dir zunächst einige Mittel und sagt dir, dass sie dich schneller machen. Im Laufe der Jahre wird die Menge immer größer. Man hält den Mund und macht mit. Die Mannschaftskapitäne bekommen das Fünf-Sterne-Programm, die Wasserträger das Drei-Sterne-Programm“, sagte Manzano.

Der Leistungsgewinn durch Epo sei enorm. „Das macht einen Unterschied von 70 bis 80 Prozent aus. Er ist so groß wie der Unterschied zwischen einem 100 PS starken und einem 400 PS starken Auto. Jeder weiß: Je mehr Epo ich nehme, desto besser bin ich.“ Sein Teamarzt habe ihm vorgeschlagen, dass sein Vater Epo einnehmen könnte, da dieser die gleiche Blutgruppe habe. Manzano sollte das Blut seines Vaters vor einem Rennen injiziert bekommen. „Ich lege die Hand dafür ins Feuer, dass jeder Fahrer, der bei der Tour de France in Paris angekommen ist, gedopt war“, sagt Manzano. Kann man eigentlich noch politisch korrekt behaupten, dass es sich hierbei um ein Pauschalurteil handelt? Ach ja, die Cyclassics gewann übrigens der Spanier Óscar Freire.