BARBARA BOLLWAHN LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Blumenkohl und Gurken im Vogtland

Völker, hört die Signale! Im Ch. Links Verlag ist eine CD erschienen, „Der Sound des Untergangs“ (2014), die die letzten Stunden der DDR nacherlebbar macht. Zu hören sind Tonmitschnitte der letzten Sitzungen des SED-Zentralkomitees, als dieses unter dem Druck der Ausreisewelle und Massendemonstrationen von Oktober bis Dezember 1989 viermal mit der Parteiführung zusammentraf.

Die Aufnahmen sollten nie veröffentlicht werden. Sie wurden im internen Archiv des Politbüros unter Verschluss genommen. Über das Zentrale Parteiarchiv der SED gelangten sie 1992 in die Stiftung Archiv der Parteien und Massenorganisationen der DDR im Bundesarchiv. Der Publizist und Sozialforscher Hans-Hermann Hertle hat daraus die Dokumentation zusammengestellt.

Herausgekommen sind 69 Minuten Hilflosigkeit, Verzweiflung und Naivität. Kulturminister Hans-Joachim Hoffmann: „Wir stehen vor neuen gewaltigen Demonstrationen, die der Feind organisiert. Jetzt müssen die Kommunisten auf die Straße!“ Er schlägt vor, „die eingeschränkten Empfangsmöglichkeiten für das sowjetische Fernsehen zu verbessern“, und will der Regierung ein Programm für die Jugend unterbreiten. „Dass sie nicht dieses ganze Zeug nur aus dem Westen beziehen müssen, wenn sie eine Großmutter haben, die betucht ist oder so.“ Die 1. Sekretärin der SED-Kreisleitung im vogtländischen Reichenbach kritisiert die Selbstversorgung der Bezirke mit Gemüse. „Blumenkohl und Gurken wachsen nun einmal in anderen Gebieten unserer Republik besser als in unserem Vogtland.“

Naivität, Selbstkritik und Starrsinn sitzen eng beieinander in diesen letzten Sitzungen. So beklagt der ZK-Abteilungsleiter für Finanzen, Günter Ehrensperger, „dass wir uns etwas vorgemacht haben“. Bernhard Quandt, 1. Sekretär der Bezirksleitung Schwerin und Mitglied des Staatsrates, will die Todesstrafe wieder einführen und „alle standesrechtlich erschießen, die unsere Partei in eine solche Schmach gebracht haben“. Egon Krenz rechtfertigt das geschönte Wahlergebnis der Kommunalwahlen im Mai 1989 und lehnt „ein neues Aufrollen dieser Frage“ ab. Er bittet darum, das nicht zu Protokoll zu nehmen.

■ Die Autorin ist Schriftstellerin und schreibt für die taz