Die letzte Diva verlässt Berlin

Mit Marcelinho verliert der Hertha BSC einen großen Sympathieträger. Trotz ständiger Eskapaden liebten die Berliner den brasilianischen Offensivkünstler. Er war vor allem ein Held des Boulevards

VON RICHARD ROTHER

„Seit Marcelinho und Falko Götz ist Hertha ein sympathischer Fußballverein geworden“, sagte einmal ein Bekannter, der den Berliner Klub jahrelang hasste. Und eine Bekannte, die sich für Fußball nur zu WM-und EM-Zeiten interessiert, war über Marcelinhos Form und Frisur stets bestens informiert. „Der ist doch richtig niedlich“, meinte sie. Jetzt aber wechselt der Brasilianer, nicht ganz freiwillig, zum türkischen Erstligisten Trabzonspor. Nach Trabzon also, von dem selbst Hobbygeografen nicht wissen, wo am Schwarzen Meer diese Stadt liegt.

Mit Marcelinho verlässt die letzte große Fußballdiva Hertha und Berlin. Im Unterschied zu Alex Alves, der stets beleidigt wirkenden vorletzten Diva, war Marcelinho in seinen fünf Jahren bei Hertha ein Sympathieträger. Trotz seiner zahlreichen Eskapaden. Vielleicht lag das daran, dass niemand – weder Fans noch Trainer noch Manager – dem außerhalb des Platzes kindlich-naiv wirkenden Marcelinho so richtig böse sein konnte. Denn immer wieder schaffte es der inzwischen 31-Jährige, mit tollen Tricks und Toren zu begeistern – und Herthas Aufstieg in obere Tabellenregionen zu sichern. 65 Tore und 49 Torvorlagen in 155 Bundesligaspielen sind selbst für einen Offensivspieler durchaus bemerkenswert.

Marcelinho war aber vor allem auch ein Held des Boulevards – einer, der sich immer wieder bunte neue Haartrachten von seinem mexikanischen Frisör kreieren ließ, der auch mal betrunken Auto fuhr, der immer für eine Überraschung und damit eine Schlagzeile gut war. Unvergessen sind seine permanenten Verspätungen nach den Ferien in der Heimat, sein missglückter Ausflug in die Welt der Diskobetreiber, seine angebliche Kneipenschlägerei in Brasilien.

Und immer wieder drängte sich der Eindruck auf, dass der geniale Fußballer nicht so recht wusste, was abseits des Platzes mit ihm geschieht. Nicht umsonst stellte ihm Hertha einen persönlichen Berater – man kann auch sagen: Aufpasser – zur Seite. Offenbar wollte der Klub, dass Marcelinho der sportliche und finanzielle Erfolg nicht über den Kopf wachse und zwielichtige Gestalten anlocke.

Manager Dieter Hoeneß, oft wie ein väterlicher Freund Marcelinhos wirkend, hat seine eigene Theorie über den Offensivspieler entwickelt: „Er ist ein lieber Kerl, der labil ist und teilweise von Leuten beeinflusst wird, die nicht sein Bestes wollen.“ Seinen Abschied sieht Hoeneß mit einem lachenden und einem weinenden Auge. „Er hat sich viel Kredit erspielt, aber auch viel verspielt.“ Rational habe es keine andere Entscheidung gegeben, „emotional ist das etwas anderes“. Unter dem Strich sei Marcelinhos Zeit ein tolles Kapitel Hertha BSC gewesen.

Zuletzt hatte Marcelinho den Hertha-Verantwortlichen aber wohl keine andere Wahl als die vorzeitige Trennung gelassen. Immerhin neun Tage war der Brasilianer zu spät aus dem Urlaub zurückgekehrt, er hatte in Brasilien wohl auch mit einem anderen Klub verhandelt. Solche Eskapaden kann sich kein Spitzenverein auf Dauer leisten. Vor allem dürfte den Hertha-Verantwortlichen aber gedämmert haben: Wenn das sportliche Abschneiden von den wechselnden Launen und der wechselnden Form eines Superstars abhängt, kann dies auf Dauer nicht gut gehen. Aber andererseits: Ohne Stars und Glamour droht dem ambitionierten Hauptstadtklub die Langeweile.

Jetzt also die Trennung. Im Spiel eins nach Marcelinho verlor Hertha übrigens beim Hamburger SV. Die Liga-Pokal-Begegnung am Samstag ging mit 1:0 an die Hanseaten – obwohl Hertha phasenweise besser spielte. Bleibt eine letzte Frage: Wird das Vereinsmaskottchen Herthinho demnächst umbenannt?

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