Erst schließen, dann prüfen

Mitte Mai musste das Mädchenhaus aus finanziellen Gründen seine Notunterkunft für Mädchen aufgeben, jetzt soll eine Studie herausfinden, ob man auf die Einrichtung tatsächlich verzichten kann

von Eiken Bruhn

Braucht Bremen eine Notaufnahme nur für Mädchen? Sollte deren Adresse geheim gehalten werden? Diese und andere Fragen sollen mittels einer Studie im Auftrag des Amts für soziale Dienste geklärt werden, vergangene Woche fiel der Startschuss. Das Absurde: Die Untersuchung wurde erst in Auftrag gegeben, nachdem das Bremer Mädchenhaus seine anonyme Kriseneinrichtung Mitte Mai schließen musste. Der Grund: Das Amt zahlt nur pro untergebrachtem Mädchen, Zeiten, in denen weniger kamen, mussten aus eigenen Mitteln überbrückt werden, Mitarbeiterinnen und Miete trotzdem irgendwie bezahlt werden.

Diese Engpässe kennen auch die anderen Vereine in Bremen, die so genannte „Inobhutnahmen“ anbieten. In den nächsten Monaten werden ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Wissenschaftlern der Gesellschaft für innovative Sozialforschung aus der Praxis berichten – die Frauen vom Mädchenhaus nicht, da diese keine aktuellen Fälle zur Auswertung bieten können. „Natürlich ist es bitter für uns, dass wir erst schließen mussten, damit sich etwas bewegt“, sagt Sabine Weber, Geschäftsführerin des Mädchenhauses. Und: „Wir fordern schon sehr lange, dass sich an der Finanzierung etwas ändert und das ganze System einmal evaluiert wird.“ Sie hofft darauf, dass aus der Untersuchung hervorgeht, dass Bremen auf das Angebot des Mädchenhauses nicht verzichten kann. „Wir sind mehr als eine Notaufnahme nur für Mädchen“, sagt Weber. Auch die Anonymität sei nicht das Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen konkurrierenden Einrichtungen. „Wir haben über Jahre ein mädchenspezifisches Konzept aufgebaut, mit Wohngruppe, mit Notruf, mit einer Online-Beratung.“ Mädchen, die sich derzeit bei ihnen melden, müssen sie jetzt an andere verweisen, etwa an die St. Johannis Kinder und Jugendhilfe der Caritas, die die einzige Mädchen-Notunterkunft in Bremen stellt.

„Natürlich profitieren wir davon, dass das Mädchenhaus aufgeben musste“, sagt Lisa Schulte, Heimleiterin bei St. Johannis. Die fünf Plätze würden seitdem oft nicht mehr ausreichen, manche Zimmer würden deshalb doppelt belegt. Es sei vorstellbar, dass sie in Zukunft mehr Plätze anbieten würden. Diese sollten allerdings weiterhin nur für Mädchen bereit stehen. Das sei vor allem für diejenigen wichtig, die Gewalterfahrungen gemacht hätten, sagt Schulte. Vom Mädchenhaus unterscheide man sich dadurch, dass man nicht feministisch, also parteilich für die Mädchen arbeiten würde. „Wir versuchen eine neutrale Position einzunehmen.“ – „Parteilich bedeutet nicht, dass wir nicht auch die ganze Familie im Blick hätten“, kontert Mädchenhaus-Geschäftsführerin Weber.

Welches Angebot tatsächlich das bessere ist, das heißt besser auf die Bedürfnisse der Jugendlichen eingeht, wird sich frühestens in einem halben Jahr zeigen, wenn die Studie ausgewertet werden kann. Jens Crueger, jugendpolitischer Sprecher der Grünen, verspricht sich davon auch „Munition“ gegen die Praxis des Amtes, Kinder und Jugendliche möglichst in Pflegefamilien, anstatt in stationären Einrichtungen unterzubringen, weil dadurch Kosten gespart werden können. Er hoffe außerdem darauf, dass die Träger in Zukunft eine finanzielle Hilfe bekommen werden, um Zeiten zu überstehen, in denen weniger Jugendliche betreut werden müssen als Plätze vorhanden sind.

Ob das Mädchenhaus noch etwas von der Studie haben wird, ist derzeit offen. „Wir würden gerne wieder eröffnen, wenn es eine andere Finanzierung gibt“, sagt Weber. „Bis zum Frühjahr können wir allerdings nicht warten, solange können wir die Räume nicht halten.“