DVDESK
: Vittoria, Falconara, Licata

Three Films by Jean-Marie Straub and Danièle Huillet (New Wave Films, Bezug als UK-Import)

Der Sohn nimmt die Melone in die Hände, riecht daran, legt sie zurück

Sagt ein Mann, mit Schnurrbart: „Siracusa, Spaccaforna, Modica, Genisi, Donnafugata“. Fährt ein anderer Mann, im weißen Hemd, fort: „Vittoria, Falconara, Licata.“ Schnurrbartmann: „Aha! Girgenti!“ Weißhemdmann: „Agrigento, prego.“ Zwei Männer im Zug. Sie sprechen in Zungen. Ortsnamen, die sie wie im Wechselgesang rezitieren. Auf dem Weg nach Sciacca, Sizilien. „Sicilia!“ Mit Ausrufezeichen. So heißt der Film aus dem Jahr 1999.

Der Weißhemdmann, der aus Amerika in seine sizilianische Heimat zurückkehrt und dabei namenlos bleibt („der Sohn“) ist der Protagonist dieses Films, oder er wäre es, müsste man nicht eigentlich etwas anderes als den Hauptgegenstand nicht nur dieses Werks von Danièle Huillet und Jean-Marie Straub sehen: die Sprache. Die Sprache und wie sie von Menschen gesprochen wird und mehr noch das Sprechen der Sprache durch Menschen im von der Kamera festgehaltenen Bild. Manchmal wird die Sprache gesungen, aber der Unterschied ist, was sehr viel sagt über das Kino von Straub und Huillet, graduell und nicht wesentlich.

Das Bild ist schwarz-weiß, die Kamera führte in „Sicilia!“ der in diesem Jahr verstorbene William Lubtchansky. Zugrunde liegt ein 1939 veröffentlichtes, von den Faschisten dann verbotenes Buch des sizilianischen Autors Elio Vittorini, das den Titel „Conversazione in Sicilia“ trägt. Der Sohn, der Mann im Zug, seine Gesprächspartner, dann, als der Sohn zurückgekehrt ist, die Mutter führen die italienische Sprache im Munde, als sängen sie sie. Im Raum stehen und sitzen sie dabei wie choreografiert, in Haltungen, bewegen sich wenig. Am Hafen, am Zugfenster, im Haus dann am Tisch, am Fenster. Die Dinge sieht man manchmal in Stillleben wie von Cézanne: Brot, die Flasche Wein, eine Melone. Der Sohn nimmt diese in die Hände, riecht daran, legt sie zurück. Der Sprache gilt die Liebe und Aufmerksamkeit, den Formen und Klängen der Dinge, den Landschaften, den Menschen und ihrer Eigenart. Mehr will dieser Film nicht, als all das zu hören, zu sehen zu geben. Unbedingt wollen alle Filme von Straub und Huillet das – und in dieser Unbedingtheit liegt, wenn man so will, eine Begrenzung. Seltsam ist aber, dass diesem Werk, das an Reichtümern und Schönheiten so unbedingt voll ist, immer wieder vorgeworfen wird, es sei karges, sinnenfeindliches Antikino. Das Gegenteil ist, kurz gesagt, wahr.

Dreißig Jahre vor „Sicilia!“ entstanden ist die „Chronik der Anna Magdalena Bach“. Erzählt wird von den gesellschaftlichen, familiären, beruflichen Fährnissen des Lebens von Johann Sebastian Bach anhand von Auszügen aus dem Tagebuch seiner Frau Anna Magdalena. Alle tragen Perücken, die Sprache ist wunderbar spätbarock und bleibt so fremd, wie sie heute nun einmal ist. Spielszenen – Spielfilmszenen – gibt es wenige. Dafür sehr viel sehr schöne Bachmusik. Und Blicke auf Partituren, Schriftstücke in ihrer Gegenständlichkeit. Es spielen und singen die im Originalton aufgenommene Musik exzellente Chöre und Instrumentalisten und Sänger, und es agiert Gustav Leonhardt, der niederländische Cembalist und Organist, als Bach. Wenn er liest und spricht, spricht und liest er deutsch mit niederländischem Akzent. Berückend rückt ihn die Kamera ohne überflüssige Bewegung mal allein, mal als Cembalisten am Rand, mal als Solisten ins Bild. Fast immer in Kirchen und kargen Räumen. Einmal auch als sehr schöne künstliche Rückprojektion mit links flammender Fackel in schräger Untersichtkomposition. Der Film ist ein Biopic, das auf alles, was man mit dem Genre verbindet, glücklich verzichtet. Es bleibt zweierlei: beruflicher Ärger, die früh verstorbenen Kinder, der missratene Sohn – und die Musik. Das Alltägliche und das Göttliche.

Kaum etwas gibt es in Deutschland auf DVD von Straub und Huillet. Eine französische Gesamtausgabe ist allzu schnell ins Stocken geraten. Die nun in England erschienene Edition enthält noch den etwas Cézanne-dogmatischen „Une visite au Louvre“ (2004) und keine weiteren Extras. Sie ist, wenn man sie bei amazon.co.uk bestellt, dafür außerordentlich günstig.

EKKEHARD KNÖRER