Der „Homo precarius“ lebt mit der Unsicherheit. Aber wie? Heute: Paloma Gonzales, Praktikantin
: „In Berlin habe ich gelernt, dass man auch mit wenig Geld auf eigenen Füßen stehen kann“

„Es ist wie Verliebtsein. Du wachst morgens auf, hast Schmetterlinge im Bauch und denkst: Endlich frei.“ So beschreibt Paloma Gonzales* das Gefühl, das ihr Berlin gibt. Dabei strahlen die dunklen Augen der jungen Spanierin. Sie ist für sechs Monate hierhergekommen, um ein Praktikum in einer Kommunikationsagentur zu machen.

Das hätte sie auch in einer kleineren ostdeutschen Stadt machen können, wo sie bereits Kontakte aus ihrer Zeit als Austauschstudentin hatte. Dort hätte sie ein gut bezahltes Praktikum bekommen können. Aber sie wollte nach Berlin. „Ich habe mich gefragt, was ich will: mehr Geld, in einer Stadt, die ich schon kenne? Oder wenig Geld, aber dafür nicht nur Erfahrungen für meinen Beruf, sondern auch fürs Leben?“, erzählt die junge Frau, die ihr Studium bereits abgeschlossen hat. Für das Praktikum in Berlin bekommt sie aus EU-Fonds ein Stipendium von 80 Euro pro Woche. Der Platz in der Kommunikationsagentur wurde von ihrer früheren Universität in Spanien vermittelt.

Als Paloma Gonzales ihren ersten Arbeitstag antritt, ist sie erst einmal entsetzt: Das „Büro“ der Agentur ist das Zuhause ihrer Chefin. Die ist jedoch kaum da; sie kümmert sich um ihr kleines Kind und kommt nur ab und zu, um Unterschrift und Stempel unter die Arbeit ihrer Praktikanten zu setzen. Paloma Gonzales ist erstaunt über die Arbeitsbedingungen, dann wütend, als sie versteht, wie der Laden läuft: „Sie hat mit uns wie mit Hunden geredet“, sagt sie erbost.

Die Chefin spiele die Praktikanten mit Uniabschluss gegeneinander aus: Auf die Frage nach ihrem Gehalt antwortet sie, Paloma Gonzales könne selbst entscheiden, ob sie ein höheres Gehalt bekommt und der andere Praktikant nichts oder beide ein niedriges Gehalt. Paloma Gonzales ist mit ihrem Kollegen befreundet, sie weiß, dass er kein Stipendium hat – und verzichtet auf einen Teil ihres Lohns. „Aus der Bezahlung wurde ohnehin ein großes Geheimnis gemacht. Darüber können wir nicht reden, weil einige der Praktikanten gar nicht bezahlt werden“, erzählt die Spanierin.

Aber obwohl die Situation bei der Arbeit schwierig ist, nutzt Paloma Gonzales die Zeit für sich: „Ich lerne bei der Arbeit viel“, berichtet sie. Und sie macht Erfahrungen fürs Leben. Zum Beispiel allein wohnen. In ihrer Heimatstadt lebt sie mit ihrem Vater zusammen. „In Spanien ist es nicht üblich, dass junge Menschen nicht bei ihren Eltern wohnen. Erst wenn sie 30, 35 Jahre alt sind, eine gut bezahlte Arbeit und einen festen Partner haben, kaufen sie sich ein eigenes Haus.“

In Berlin seien die Menschen hingegen schon sehr früh unabhängig: „Ich habe hier gelernt, dass man auch mit wenig Geld auf eigenen Füßen stehen kann. Geld ist nicht so wichtig, aber die Freiheit.“ Deswegen bereut sie es nicht, nach Berlin gekommen zu sein. Am liebsten würde sie länger als die geplanten sechs Monate bleiben. „Aber dazu muss ich eine besser bezahlte Arbeit finden“, sagt Paloma Gonzales. Und das könnte in der Hauptstadt der Präkarisierten schwer werden.

Nadja Dumouchel

* Name geändert