Vor 24 Jahren: größter anzunehmender Unfall

REAKTORUNGLÜCK Bis heute fehlen exakte Angaben, wie viele Menschen bei der Katastrophe starben

BERLIN taz | Am 26. April 1986 kam es in der damaligen Ukrainischen Sowjetrepublik im Atomkraftwerk Tschernobyl unweit der Stadt Prypjat zur bislang schwersten nuklearen Katastrophe aller Zeiten. Konstruktionsmängel des Reaktors sowie Planungs- und Bedienungsfehler bei einem groß angelegten Experiment waren die Ursachen der Explosion des Blocks vier der Anlage.

Durch den GAU wurde hundertmal so viel Radioaktivität freigesetzt wie bei den Atombombenabwürfen über Hiroschima und Nagasaki – der größte Teil davon vor allem in den ersten zehn Tagen nach dem Unglück. Aufgrund der großen Hitze, die bei den Grafitbränden im Kraftwerk entstand, wurden Stoffe wie Jod oder Cäsium bis zu 1.500 Meter in die Höhe geschleudert. Durch Luftströmungen verteilt sich der radioaktive Fallout über weite Teile Europas. Insgesamt wurden rund 218.000 Quadratkilometer mit mehr als 37.000 Becquerel (37 kBQ) pro Quadratmeter radioaktiv belastet.

Bis heute gibt es keine genauen Zahlenangaben darüber, wie viele Menschen durch den Reaktorunfall ums Leben gekommen sind. Von den damals unmittelbar nach der Reaktorexplosion eingesetzten 800.000 sowjetischen Liquidatoren sind mittlerweile rund 25.000 gestorben. Bei vielen Erkrankungen, wie zum Beispiel Schilddrüsenkrebs oder Missbildungen bei Neugeborenen, gilt die Strahlung als Ursache. Ein medizinischer Nachweis ist jedoch häufig nicht möglich. Zudem streiten Wissenschaftler seit Jahren darüber, welche Langzeitfolgen der Reaktorkatastrophe haben könnte.

Mehr als 70 Prozent der verstrahlten Gebiete liegen im heutigen Russland, der Ukraine und in Weißrussland. Als Folge der Tschernobyl-Katastrophe gelten in Russland heute noch 19 Regionen im Westen des Landes mit einer Gesamtfläche von 59.300 Quadratkilometern (1,5 Prozent der Landesfläche) als radioaktiv kontaminiert – das heißt, sie weisen eine Belastung von mehr als 1 Curie Cäsium 137 pro Quadratkilometer auf. In diesen Gebieten lebten zum Zeitpunkt des Unfalls rund 2,7 Millionen Menschen, derzeit wohnen hier immer noch 1,78 Millionen Männer, Frauen und Kinder. Höhere Belastungen von über 5 Curie finden sich in den Regionen Brjansk, Kaluga, Tula und Oryol. In Brjansk und Umgebung sind einige Flächen sogar zum Teil mit mehr als 15 Curie belastet.

BARBARA OERTEL