Das Ende der Eitelkeit

NEUBESETZUNG Der designierte Generalintendant Michael Börgerding soll das Bremer Theater vom Kopf auf die Füße stellen. Angesichts der Defizite, die sein Vorgänger hinterließ, ist das ökonomisch anspruchsvoll – inhaltlich wird er sich leicht abheben können

Börgerding kann als personifizierte Abkehr vom bisherigen Kurs des Theaters gelten

Das Bremer Theater durchlebt derzeit bemerkenswerte Metamorphosen: Bis vor wenigen Wochen hatte es mit Hans-Joachim Frey einen Intendanten, der gern mit viel Goldfarbe gedruckte Programmhefte produzierte. Nun ist ein Gremium der Spartenleiter am Ruder: Mit schmalerem Budget und jungen Kräften muss es die wirtschaftlichen und inhaltlichen Scharten auswetzen, die Frey mit seinen Promi-Produktionen in Profil und ökonomischen Unterbau des Hauses schlug. Seit gestern ist bekannt, dass diese kollektive Interims-Intendanz 2012 endet: Dann gibt es mit Michael Börgerding wieder einen „ordentlichen“ Generalintendanten.

Der 49-Jährige, derzeit Leiter der Hamburger Theaterakademie, unterschreibt seinen Fünfjahresvertrag zwar erst kommende Woche – die ökonomischen Rahmenbedingungen jedoch hat er offenbar bereits akzeptiert: Mit 25 Millionen Euro erhält das Bremer Theater spürbar weniger öffentliche Mittel als die Häuser in vergleichbaren Städten – so viel wie das Staatstheater im nicht einmal halb so großen Braunschweig.

Zudem muss sich Börgerding mit Altlasten abfinden. Der in der Ära seines Vorvorgängers Klaus Pierwoß notwendig gewordene Notlagentarifvertrag gilt bis 2014, von Hans-Joachim Frey erbt Börgerding ein Vier-Millionen-Defizit. Zu dem seit vorgestern noch einmal fast 300.000 Euro addiert werden müssen: Der Kassensturz der „Seebühne“, einer Open-Air-Oper am alten Hafen, verdeutlicht die ökonomische Wackeligkeit der Frey’schen Repräsentationskultur einmal mehr.

Börgerding tickt anders, er kann sogar als personifizierte Abkehr vom bisherigen Kurs des Theaters gelten, mit dem insbesondere über aufwändige Inszenierungen des Musiktheaters distinguierte Publikumsschichten angesprochen werden sollten. „Wenn ich etwas repräsentieren will“, sagte Börgerding gestern bei seiner offiziellen Vorstellung im Rangfoyer des Theaters, „dann das, was in der Stadt tatsächlich passiert“. Sein Theater solle ein „offenes, durchlässiges Haus“ sein. Was er darunter versteht, war beispielsweise im Juli beim Hamburger „Kaltstart“-Festival zu besichtigen, an dem sich Börgerdings Akademie engagiert beteiligt; das Festival gilt als wichtigste Nachwuchs-Theaterplattform im deutschsprachigen Raum. Wichtige Talente wie Alice Buddenberg oder Jette Steckel wiederum sind aus Börgerdings Schule hervorgegangen.

Börgerding, dessen uneitle und gelassene Art dem Haus gut tun wird, kommt ursprünglich aus dem Oldenburgischen. In Göttingen hat er Germanistik und Soziologie studiert, über das dortige Junge Theater kam er ans Schauspielhaus in Hannover, anschließend nach Hamburg als Chefdramaturg des Thalia.

Diesen Weg machte er gemeinsam mit Ulrich Khuon als Intendant, mit dem er auch die Autorentheatertage in Hannover und Hamburg gründete. 2005 wurde Börgerding dann Gründungsdirektor der Hamburger Theaterakademie.

Dort bleibt er auch in Zukunft Professor für Dramaturgie und will, ehe er in zwei Jahren seine Führungsposition abgibt, auch noch den Neubau der Akademie in der Gaußstraße hinbekommen – eine ähnliche Zielstrebigkeit wird er für seine Bremer Aufgaben brauchen können.

Sie erwarte von Börgerding eine „Stärkung des Spartenbetriebs“, sagt die Bremer Kulturstaatsrätin Carmen Emigholz; unter Frey waren die Ensembles dagegen verkleinert und zahlreiche Gäste engagiert worden. Und noch etwas ist damit gemeint: Die Zeit pompöser Zusatz-Events ist am Bremer Theater vorbei.

HENNING BLEYL