Das Auge hört definitiv mit

Es muss bald 15 Jahre her sein, als S. und ich aus dem Londoner Club The Edge auf den Soho Square taumelten und vergeblich nach den Fahrrädern suchten. Bis heute will ich nicht drauf schwören, dass sie an dem Abend gestohlen wurden, es ist durchaus möglich, dass wir einfach zu blöd waren, sie zu finden. Außerdem waren wir abgelenkt. Auf einer Bank saß nämlich ein junger Mann, nein, eigentlich lag er halb. Mutmaßlich betrunken hing er da also rum, die Augen geschlossen, Speichelfäden am Kinn. „Ist das nicht?“, fragte S., und ich konnte nur sagen: „Ja, genau, das ist doch der …“, „Ja, ja, dieser Typ aus der Unterwäschewerbung.“, „Nee, Parfüm!“, „Äh, ja, aber auch Unterwäsche.“ Kurz und gut, wir hatten eines der Gesichter der damals aktuellen CK-Kampagne in einer misslichen Lage vorgefunden, und wenn es schon Fotohandys und Facebook gegeben hätte, würde mir das auch jemand glauben. Ich weiß ja nicht mal mehr, wie der Typ hieß – aber ich weiß ja auch nicht, wie der Bauer sein Schwein rief, dessen Leber ich grad als Wurst verzehre. Ist halt Fleisch.

Natürlich ist das nicht nur menschenverachtend, sondern auch ein Karriereproblem für Unterwäschemodels (männlich und weiblich gleichermaßen): Haben sie nicht genug verdient bis sie achtzehneinhalb Jahre alt und nicht mehr gefragt sind, ist es vorbei mit dem Jet-Set-Leben. Das hat sich vermutlich auch Jamie Burke, ein etwas aktuelleres Gesicht des selben Parfüm- und Unterwäschefabrikanten, gedacht und versucht sich deshalb als Rockstar, nachdem seine verschiedenen Affären mit prominenten Frauen aus ähnlichen Berufsfeldern die Kasse wohl nicht wirklich klingeln lassen. Und als Bondgirl taugt er wahrscheinlich auch eher weniger. Natürlich hat er sich für die neue Karriereperspektive nicht lumpen lassen und die Hilfe seines Arbeitgebers in Anspruch genommen: „Wenn Menschen als Einheit zusammenkommen, entsteht ein Wirgefühl, das ck one in seiner Kampagne mit einer der universellsten Sprachen der Welt zum Ausdruck bringt: der Sprache der Musik.“ Den verkaufsfördernden Song singt: Jamie Burke. Das ist Rock ’n’ Roll wie aus dem Bilderbuch: eine von vorne bis hinten marketinggerecht konstruierte Staridentität. Klingt nicht so doof, wenn man drüber nachdenkt – der Junge da am Soho Square hat’s vermutlich schlechter erwischt. Um Gerechtigkeit walten zu lassen: Burke trällert tatsächlich ganz nett, und in Geld, der anderen universellsten Sprache der Welt gesprochen, ist es nicht zu viel verlangt, am Samstag (22 Uhr) mal 3 Euro im White Trash abzugeben, um einem Unterwäschemodell beim Klampfen zuzuschauen. Das Auge hört schließlich mit. DANIÉL KRETSCHMAR