„Ich will kein Nostalgietreffen“

St. Pauli-Trainer Andreas Bergmann im taz-Interview über alte und junge Spieler, Norddeutsche und Schwaben, Psychoknackse und Etatfragen – und natürlich über den Aufstieg in die zweite Bundesliga

Interview: Marco Carini

taz: Herr Bergmann, ist Ihr Team in der Sommerpause stärker geworden?

Andreas Bergmann: Uns hat in der vergangenen Saison in der Offensive noch Qualität gefehlt. In vielen Spielen, die wir dominiert haben, haben wir uns deshalb nicht belohnt. Neben der Abgebrühtheit vor dem gegnerischen Tor hat es uns oft an Spielschnelligkeit, vor allem auf den Außenpositionen, gefehlt. Hier haben wir uns gezielt verstärkt.

Im Pokal hui, in der Meisterschaft oft pfui. Wie wollen Sie mehr Kontinuität erreichen?

Wir haben über weite Teile der vergangenen Spielzeit besseren, attraktiveren Fußball gespielt als im Jahr zuvor. Wir sind gut gestartet und hatten dann gegen Jena und Kiel zwei Niederlagen in Folge, nach denen sofort alles in Frage gestellt wurde. Wir müssen es schaffen, auch nach Rückschlägen nicht den Glauben an uns zu verlieren. Am Ende gab es nach der Pokalniederlage gegen Bayern einen Knacks: Diese Niederlage tat richtig weh, weil wir so nah am Finale dran waren. Danach sind viele Spieler in ein mentales Loch gefallen– sie waren einfach leer.

Sie selbst standen als Trainer nach den Niederlagen gegen Jena und Kiel in den Medien sofort zur Disposition. Was haben Sie daraus gelernt?

Diese Situation habe ich als völlig überzogen empfunden – die Medien lieben eben „Schicksalsspiele“. Ich bin damals ganz ruhig geblieben, weil ich von unserem Team überzeugt war. Diesen Druck muss man als Trainer aushalten können und einfach konzentriert weitermachen.

Der Druck wird größer werden: In dieser Saison wäre alles andere als der Aufstieg eine bittere Enttäuschung.

Der Aufstieg ist immens wichtig, aber auch ein Verbleib in der Liga würde nicht mehr die Insolvenz bedeuten. Als ich das Team übernommen habe, stand es kurz vor der Abstiegszone – das war wirklicher Druck. Der heutige Druck macht mich nicht unruhig. Wer in diesem Verein Trainer ist, wird ihn immer haben. Wir wollen aufsteigen, können uns den Aufstieg aber nicht erkaufen – auch deswegen weil vier, fünf Vereine in der Liga finanziell größere Möglichkeiten haben.

Vor dieser Saison wurde wieder einmal fast die Hälfte der Mannschaft ausgetauscht – wie soll das Team so zur Ruhe kommen?

Das sehe ich anders. Wir haben allen Leistungsträgern neue Verträge angeboten. Verlassen haben uns von diesen Spielern nur Achim Hollerieth und Ralph Gunesch, den ich sehr gern gehalten hätte. Um aufzusteigen, müssen wir uns qualitativ mit neuen, guten Leuten weiterentwickeln. Das geht nur wenn auslaufende Verträge von Spielern, die nicht zum Stamm gehören, nicht verlängert werden. Wenn das Team die Erwartungen erfüllt und wir viele Leistungsträger halten können, wird der Personalaustausch nach der kommenden Spielzeit sicher geringer werden.

Zehn Ab, aber nur sechs Zugänge – ist die Basis nicht zu schmal?

Ich komme aus dem Nachwuchsbereich und wir versuchen, auch unsere zweite Mannschaft in der Oberliga zu verstärken, so dass diese Spieler auch eine Klasse höher einspringen können. Spieler wie Kalla oder Sosnowski sind ja bereits auf dem Sprung in den Regionalligakader.

Aber Sie haben junge Spieler wie Tornieporth oder Ansorge ziehen lassen, während in zwölf Monaten mit Meggle, Scharping und Stendel gleich drei Über-30-Jährige kamen.

Unsere Mannschaft war lange Zeit sehr unerfahren, jetzt aber ist ihre Struktur gesund. Mit den drei genannten Spielern und Mazingu haben wir vier ältere, bundesligaerfahrene Führungsspieler aber eben auch jede Menge junger Dachse im Team. Es gab aber eine andere Angst: dass der Verein lauter ehemalige Spieler zurückholt, die noch mit unserem Sportchef Stanislawski zusammengespielt haben. Das haben wir bei Meggle und Scharping aufgrund ihrer Leistungsbereitschaft gemacht, aber damit ist irgendwann auch Schluss. Ich will hier kein Nostalgietreffen.

Hat St. Pauli ein Torwartproblem? Pliquett erscheint noch nicht wie ein Torhüter, der auch mal ein Spiel im Alleingang gewinnen kann.

Ich glaube, dass Pliquett und Borger die notwendige Klasse haben und es sich lohnt, Vertrauen in diese jungen Leute zusetzen. In Anbetracht unserer finanziellen Grenzen haben wir uns entschieden, in die Offensive zu investieren und hier nicht noch einen erfahrenen und teuren Torwart zu verpflichten.

Sie haben viele Spieler aus dem Schwäbischen und dem Badischen geholt, während Talente aus dem Norden oft nicht den Weg zu St. Pauli finden.

Wir haben mit Brückner, Boll oder Arifi schon einige norddeutsche Spieler aus dem eigenen Stall. Aber wir müssen den norddeutschen Talenten noch klarer machen, dass wir ein klassischer Ausbildungsverein sind. Wer bei uns gut spielt, gerät – wie zuletzt Gunesch und Luz – schnell ins Blickfeld der Profivereine. Diese Chance ist größer, als wenn solche Nachwuchsspieler zu früh etwa zum HSV oder zu Werder Bremen gehen. Aus meiner Zeit in Karlsruhe kenne ich mich aber eben auch im süddeutschen Raum gut aus. Wenn es dort gute Spieler gibt, die zu uns kommen wollen, werde ich auch weiterhin gerne zugreifen.

Was ist für Sie das besondere an St. Pauli?

Für mich ist das ein Empfinden, das ich kaum beschreiben kann. Es wird immer etwas Besonderes bleiben, als Trainer am Millerntor einzulaufen und der Bär ist los. Wenn Du durch den Stadtteil gehst, merkst du, wie hier jeder mitfiebert. Es ist mir zudem supersympathisch, dass es hier viele inhaltliche Strukturen gibt, dass man zu Themen wie Diskriminierung und Rassismus Stellung bezieht. Dieser Verein hat ein familiäres Umfeld, in dem ich mich aufgehoben fühle. Ich habe hier einfach ein gutes Lebensgefühl.

Wer steht am Ende auf den beiden Aufstiegsplätzen?

Ich glaube, dass wir es diesmal schaffen können. Auch Kiel, Osnabrück und Lübeck dürften wieder um den Aufstieg mitspielen, Düsseldorf und Dresden sind nicht zu unterschätzen. Und wie Jena in der vergangenen Spielzeit wird es sicher auch diesmal wieder eine Mannschaft geben, die heute noch niemand auf der Rechnung hat.