berliner szenen Tägliche Initiative

Lieber mit Milch

Die Milch ist alle, der Morgen beginnt schwarz, café solo. Wieder keine Bezüge. Klärungsbedarf. Sven muss los, die Agentur für Arbeit wartet nicht. Sein Rennrad schlängelt sich durch den Stadtverkehr. Das Arbeitsamt ordnet nach Buchstaben, Sven gehört in die Abteilung von Isa bis Koz. Wartezone. Neben der Tür hängt ein Flucht- und Rettungsplan. Er liest: „Verhalten im Brandfall“, „Verhalten bei Unfällen“. Ansonsten sind die Wände kahl. Im Regal „Bitte bedienen Sie sich“ liegt nur eine Broschüre aus. Erziehungsgeld. Niemand bedient sich.

Der Arbeitsberater will Initiative, Bewerbungen, das Bemühen um eine Festanstellung sehen. Sven schüttelt ihm die Hand. „Wiedersehen.“ In der Leistungsabteilung beantragt eine Nachbarin ihre Selbstständigkeit. Sven schleicht sich vorbei, er möchte nicht erkannt werden.

Der Ausgang liegt zwischen taz-Gebäude und Springerhochhaus. Dort macht eine überdimensionierte Leuchtschrift Werbung für Perfect Draft, dann folgen Ausschnitte aus einem kitschigen Film aus Übersee. Die Nachbarin läuft zur U-Bahn. Nicht mal dort ist es kühl. Ein Fremder macht ihr ein Kompliment, sie hört es nicht. Stadtmitte, Umsteigen von der U6 in die U2. Sie kauft eine Postkarte von Giesing. Am Checkpoint Charlie schauen Touristen nach oben. Später, auf den Fotos, wird man die Schwalben nicht erkennen.

Am Abend steigt der Arbeitsvermittler in seinen Peugeot. Ob er glücklich ist? Bei der Nachbarin ist es dunkel. Auf ihrem Tisch liegen Kopien. Und Sven? Unternimmt etwas, ergreift die Initiative. Er schreibt: Bewerbung – Sehr geehrter Staat, hiermit bewerbe ich mich um eine Festanstellung als Schriftsteller …

In der Kühlschranktür steht eine Tüte Milch. Die Bezüge werden verlängert. SYNKE KÖHLER