Wahlkampf per Mausklick

555 Politiker treten zur Landtagswahl am 17. September an. Auf www.kandidatenwatch.de stellen sie sich den Fragen der BerlinerInnen. Meist kommen die Antworten aber vom Pressereferenten

VON MARLENE WOLF

Vorbei sind die Zeiten, als man sich in Bürgersprechstunden quälen musste, um herauszufinden, was die Politiker wollten, denen man seine Stimme geben sollte – dank www.kandidatenwatch.de kann man jetzt jeden Kandidaten der Landtagswahl in Berlin direkt ansprechen. So zumindest scheint es.

Das Prinzip ist einfach: Sucht man nach auf der Webseite nach dem eigenen Wahlkreis, spuckt der Kandidatenwatch alle Kandidierenden aus. Jeder Politiker kann sich dann auf einer eigenen Unterseite präsentieren. Dort steht auch ein Onlineformular bereit, in das man seine Frage eintippen und dann per Mausklick an die Betreiber der Webseite abschicken kann. 15 Mitarbeiter von Kandidatenwatch überprüfen danach, ob es sich bei dem Beitrag wirklich um eine Frage handelt, ob diese verfassungsfeindlich oder auch zu privat ist. Wird die – oft auch unbequeme – Frage kurz darauf freigeschaltet, ist sie für jeden Besucher sichtbar.

Doch was nach direktem Kontakt zwischen Bürger und Volksvertreter aussieht, entpuppt sich in den meisten Fällen als althergebrachte Imagekampagne per Mausklick. Denn für die gut formulierten Antworten sind – zumindest bei den Spitzenkandidaten – nicht die Politiker zuständig, sondern deren Pressereferenten. „Ausführliche Beiträge stammen meist von der Presseabteilung“, sagte Gregor Hackmack, Sprecher und Mitinitiator der Webseite. Wenn die Antwort kurz ausfällt, könne man davon ausgehen, dass sie vom Kandidaten stammten.

Seit dem Start des Portals am Donnerstag vergangener Woche wurden bereits 169 Fragen gestellt. Die Politiker sind langsamer, erst 48 Antworten liegen vor. Viele von ihnen sind wohl noch im Sommerurlaub. Klaus Wowereit, der gestern aus dem Urlaub zurückkam, hat durch seine Mitarbeiter bereits drei von sieben Fragen beantwortet. Mit dieser Zahl führt er die Top 10 der meist angefragten Kandidierenden an. Friedbert Pflüger, Spitzenkandidat der CDU, folgt kurz danach mit fünf Fragen und drei Antworten. Auch er lässt schreiben und autorisiert vor der Veröffentlichung.

Bei den kleinen Parteien oder vergleichsweise unbekannten Politikern sind die Beiträge dagegen noch Handarbeit. Johannes Hinrichs, Kandidat der Humanwirtschaftspartei, schreibt selbst, ihm „macht es sogar Spaß“. Sibyll Klotz, Vorsitzende der Fraktion der Berliner Grünen, ist, wie sie sagt, „richtig Fan von Kandidatenwatch“. Jan-Marco Luczak von der CDU, am vierthäufigsten angefragt, greift auch selbst zur Tastatur. Er findet Kandidatenwatch eine gute Idee, denn bei den Politiker-Webseiten bestehen seiner Meinung nach größere Hemmungen, diejenigen direkt anzusprechen. Luczak gibt sogar seine direkte Durchwahl als Kontakt an. Bei vielen Kollegen waren es nur die Nummern der Pressestellen.

Zum ersten Mal ging Kandidatenwatch bei der vergangenen Bundestagswahl online. Unterstützt wird das Projekt von der Bürgeraktion „Mehr Demokratie“ und der Landeszentrale für politische Bildung in Berlin.

Die Kosten für Personal und Programmierung sind hoch: 15.000 Euro benötigen die Betreiber von Kandidatenwatch dieses Jahr. 3.000 Euro werden von der Landeszentrale übernommen, der Rest muss noch refinanziert werden.

15 ehrenamtliche und 3 festangestellte Mitarbeiter arbeiten rund um die Uhr für die Webseite. Sie schreiben Politiker an, werben dafür, die eigene Seite mit einem Foto für 50 Euro zu erweitern, und moderieren die Fragen der BürgerInnen. Und wenn die Wahl vorbei ist, werden sie alle Antworten und Fragen archivieren. Wer also wissen will, was aus den virtuellen Vorsätzen geworden ist, kann bei der nächsten Wahl vergleichen.