Bis zum Fluss Litani

AUS JERUSALEM SILKE MERTINS

Das israelische Sicherheitskabinett hat beschlossen, die Bodenoffensive in Südlibanon massiv auszuweiten. Tausende Soldaten werden entsandt, um bis zum libanesischen Fluss Litani, etwa 30 Kilometer von der Grenze entfernt, vorzudringen.

Bereits wenige Stunden nach der Entscheidung Israels kam es zu blutigen Gefechten mit der radikalislamischen Hisbollah-Miliz. Dabei soll es auf beiden Seiten hohe Verluste gegeben haben. Aus der südlibanesischen Region Tyrus setzte eine Massenflucht ein.

Israel plant, einen Landstreifen von rund 70 Kilometer Länge und vier bis sechs Kilometer Breite zu besetzen, bis eine internationale Schutztruppe eintrifft und das Gebiet kontrollieren kann, hieß es in Jerusalem. Die Regierung will auf diese Weise erreichen, dass sie über einen Waffenstillstand aus einer Position der Stärke heraus verhandeln kann. Eine von der Armee besetzte Sicherheitszone wäre ein Druckmittel, um eine Rückkehr zum Status quo vor dem Krieg zu verhindern.

Das Kabinett von Ministerpräsident Ehud Olmert steht in der öffentlichen Kritik, weil es bisher keine militärischen Erfolge vorweisen kann. „Je besser ihr euren Job erledigt, je substanzieller werden unsere Gewinne auf dem diplomatischen Parkett“, sagte Verteidigungsminister Amir Peretz gestern vor Soldaten. Einer Waffenruhe zustimmen zu müssen, ohne dass die Bedrohung durch Raketen der Hisbollah beseitigt ist, wäre ein politisches Desaster für die Regierung Olmert.

In Israel wird die jüngste Bombardierung der Ortschaft Kana im Südlibanon als Wendepunkt wahrgenommen. Dabei wurden statt Hisbollah-Stellungen 56 Zivilisten tödlich getroffen. Die politische wie auch die militärische Führung in Israel befürchtet, dass nur noch wenige Tage bleiben, bis aufgrund des internationalen Drucks und einer UNO-Resolution das Feuer eingestellt werden muss. Diese Zeit will die Armee nutzen, um gegnerische Waffenarsenale zu vernichten und die Hisbollah so weit wie möglich von der Grenze abzudrängen. „Schon jetzt ist ohne jeden Zweifel klar, dass die Hisbollah in diesem Krieg nicht zerstört werden kann“, kommentiert die Tageszeitung Ma’ariv.

Klar ist: Setzen sich die USA im UNO-Sicherheitsrat durch, dann hat die israelische Armee Zeit, bis die internationale Schutztruppe den Südlibanon kontrolliert. Wird dagegen der Resolutionsvorschlag der Franzosen angenommen, tritt die Waffenruhe sofort in Kraft.

Die Ausweitung der Bodenoffensive kann aber auch eine gefährliche Eskalation der Kämpfe bedeuten. Die Islamistenorganisation Hisbollah, deren Kämpfer gut vorbereitet sind, wird mit allen Mitteln versuchen, das weitere Vordringen der Israelis im Südlibanon zu verhindern. Die Hisbollah muss befürchten, dass ein Teil ihrer aus Iran stammenden Waffenarsenale zerstört wird und sie hohe Verluste erleidet. Außerdem würde ihr Image als unbezwingbare Gotteskrieger-Truppe, die der militärischen Übermacht trotzt, leiden, wenn Israel den Südlibanon einnimmt.

Dabei ist die Hisbollah auf den ersten Blick kein sehr starker Gegner: Der UNO-Berater und Hisbollah-Kenner Timur Göksel geht davon aus, dass die Schiitenmiliz über rund 700 professionelle Kämpfer verfügt. Zusätzlich könnte sie noch bis zu 8.000 Mann aus der Bevölkerung mobilisieren. Da diese sich besser auf dem südlibanesischen Terrain auskennen, hat die israelische Armee nur dann einen militärischen Vorteil, wenn sie in großer Zahl die Grenze überquert. Auch deshalb wurden gestern zusätzliche Truppen mobilisiert und Reservisten einberufen.

Unterdessen drängen insbesondere die Menschen im israelischen Norden die Regierung in Jerusalem, nicht nachzulassen. „Wir wollen Olmert so stark wie die Hisbollah sehen“, fordern Einwohner der besonders heftig vom Katjuscha-Beschuss der Hisbollah betroffenen Stadt Kirjat Schmonah.