WAS BISHER GESCHAH (4)
: Die Berliner Schule

Die Berliner Schule entstand beim Grundrisszeichnen in einem dffb-Seminar Ende der 80er Jahre

Die Berliner Schule. Schon lange geistert dieser Begriff durch die deutsche Filmwelt. Als Emblem für eine neue filmästhetische Sensibilität, die auch international mit Interesse beobachtet wird. Als an den Rändern unscharfer Sammelbegriff für eine lose Clique intellektueller Filmemacher. Oder als Kampfbegriff, mit dem der Betrieb von sich weist, was im Verdacht steht, spröde zu sein.

Was nun also ist die Berliner Schule? Und gibt es sie im Sinne einer manifesten Bewegung überhaupt? Viele ihrer Protagonisten verneinen das. Über solche Fragen diskutierten gestern die Regisseure Maren Ade, Christian Petzold und Benjamin Heisenberg sowie Rajendra Roy, Kurator der Berliner-Schule-Retrospektive im New Yorker MoMa. Sie trafen sich im HAU1 vor zahlreichen Nachwuchsfilmemachern des Talent Campus.

Die Bezeichnung „Berliner Schule“ hat Rainer Gansera 2001 in der Süddeutschen Zeitung eingeführt. Weniger gut zu identifizieren ist der Ursprung dieser Tendenz im deutschen Film, die sich 2000 um Petzolds „Die Innere Sicherheit“ abzuzeichnen beginnt. Petzold zufolge entstand die Berliner Schule beim Grundrisszeichnen, in einem dffb-Seminar Ende der 80er, bei dem Hartmut Bitomsky von ihm, Angela Schanelec und Thomas Arslan, den ersten „Berliner Schülern“, verlangte, sich mit Stift und Papier von den filmischen Bildern aus den Raum zu erschließen, in dem diese enstanden.

Was praxisfern klingt, erwies sich als wichtigste aller Lehrveranstaltungen, sagt Petzold. Die besondere Sensibiliät vieler Berliner-Schule-Filme im Umgang mit dem filmischen Raum dürfte sich hier entwickelt haben.

Den Schauspielern hilft’s

Noch schwieriger ist es, die Berliner Schule überhaupt auf den Begriff zu bringen. Rajendra Roy spricht davon, wie sich Christoph Hochhäusler mit provokantem Hintersinn gegen das Konzept von Filmgeschichte als Fülle kleiner, sortierbarer Päckchen positioniert. Als Wesensmerkmale identifiziert Petzold, mit dem Label ohnehin sehr zufrieden, sparsamen Musikeinsatz und lange Einstellungen. Den Drang zu kleinteiligen Szenenauflösungen musste ihm der Kameramann Reinhold Vorschneider erst austreiben, gesteht Heisenberg.

Maren Ade berichtet, dass das Schlagwort „Berliner Schule“ hilfreich ist, die Schauspieler am Set zu eichen. Auch ist der Begriff als persönlicher Zusammenhang flexibel: Ade, Heisenberg und Hochhäusler sind Absolventen der Münchner Filmhochschule.

Die Berliner Schule also ist und bleibt ein Problem. Und gerade das macht sie, wie auch dieses, von abgeklärtem Business-Hubertum anderer Branchendebatten sympathisch freie Gespräch zeigt, so wertvoll.

THOMAS GROH