CHRISTIAN SEMLER ÜBER DIE PLÄNE DES VERTEIDIGUNGSMINISTERS
: Finanzen kippen Wehrpflicht

Jahrzehntelang prallten an der Bastion „Allgemeine Wehrpflicht“ alle Argumente der Kritiker ab. Jetzt reicht ein einziger Grund für ihre faktische Abschaffung: Geldnot. Denn die von der Koalition angepeilte Einsparung von 8,3 Milliarden Euro bis 2014 lässt sich anders nicht aufbringen. Geschickt hat Minister zu Guttenberg formal die Wehrpflicht nur ausgesetzt und jetzt in seiner „Variante 4“ die Möglichkeit vorgesehen, dass künftig Wehrpflichtige sich freiwillig auf mindestens ein Jahr verpflichten.

Damit erweist der Minister seine Referenz allen, die in der allgemeinen Wehrplicht die Garantie für eine demokratische Ausrichtung der Bundeswehr sehen. Aber diese Sicht hat in der Realität keinen Anker. De facto ist die Bundeswehr schon jetzt eine Berufsarmee und die Praxis der Einziehung zum Wehrdienst hat mit einer allgemeinen Pflicht nichts gemein.

Angesichts der Finanzlage werden die beiden Hauptargumente der Wehrpflichtbefürworter zunehmend leiser vorgetragen. Es sind dies die Befürchtung, dass eine Berufsarmee sich zum Staat im Staat entwickeln könnte und dass zweitens die Schwelle für militärische Interventionen in diesem Fall abgesenkt würde.

Beide Argumente sind nicht stichhaltig. Das „Staat im Staate“-Argument zieht eine falsche historische Parallele zur Berufsarmee der Weimarer Republik und deren grundlegend republik- und demokratiefeindlicher Ausrichtung. Auch Zeit- und Berufssoldaten sind heute Produkte einer Gesellschaft, die vom militärischen Kodex nichts mehr wissen will. Und was die Herabsetzung der Schwelle für Interventionen anlangt, so liegt die Entscheidung für sie immer noch bei der Parlamentsmehrheit. Ob die Bundeswehr zunehmend für Auslandseinsätze eingesetzt wird, hängt nicht von ihr als Berufsarmee ab, sondern immer noch von den Politikern.

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