Kopftuch stört nicht die Würde des Gerichts

Bundesverfassungsgericht widerspricht Berliner Jugendrichter, der eine Muslimin mit Kopftuch nicht als Zuschauerin im Gerichtssaal dulden wollte. Der Verweis aus dem Raum sei willkürlich, solange die Frau identifizierbar sei

Zuschauerinnen eines Prozesses darf das Tragen eines Kopftuchs nicht pauschal verboten werden. Das entschied das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Es rügte damit einen Berliner Jugendrichter, der vor zwei Jahren eine Muslimin wegen ihrer Kopfbedeckung aus dem Saal verwiesen hatte. In einem gestern bekanntgewordenen Beschluss erklärte eine mit drei Verfassungsrichtern besetzte Kammer, dass der Jugendrichter gegen das „Willkürverbot“ des Grundgesetzes verstoßen hat.

Der Fall hatte im Februar 2004 bundesweit Aufsehen erregt. Frau Ö. saß auf einer Zuschauerbank im Amtsgericht Tiergarten. Vor Gericht stand ihr Sohn, sie wollte ihm beistehen. Doch der Jugendrichter forderte Frau Ö. auf, ihr Kopftuch abzulegen oder den Saal zu verlassen. Prinzipiell dulde er das Tragen von Kopfbedeckungen im Gerichtssaal nicht. Die Frau, die sich nach den Worten ihrer Anwältin Yosma Karagöz „schwer gedemütigt“ fühlte, verließ daraufhin den Saal. Schließlich wollte sie ihrem Sohn nicht schaden.

Der Präsident des Amtsgerichts, Gerhard Offenberg, sah damals keine Möglichkeit, gegen den Jugendrichter einzuschreiten. Es gehöre zur Unabhängigkeit des Richters, dass ihm Vorgesetzte keine Anweisungen geben können. Eine rechtliche Überprüfung sei nur möglich, wenn der Sohn gegen sein Urteil Revision einlege und geltend mache, dass die Öffentlichkeit der Verhandlung behindert war. Doch der Sohn war mit dem Urteil zufrieden, und nach Ansicht der Anwältin hatte es keinen Sinn, ein Rechtsmittel einzulegen, nur um die Kopftuchfrage zu klären. Frau Ö. blieb nur der Weg zum Bundesverfassungsgericht. Und der hat sich gelohnt.

Ein Richter sei zwar dafür zuständig, die „Würde des Prozesses“ sicherzustellen, heißt es nun im Beschluss des Verfassungsgerichts. Allerdings sei „nicht in jedem Aufbehalten von Hüten oder Kopftüchern in geschlossenen Räumen eine Missachtungskundgebung gegenüber anderen anwesenden Personen“ zu sehen. Wer aus religiösen Gründen ein Kopftuch trage, könne dieses aufbehalten, weil „kein ungebührliches Verhalten“ und damit auch keine Störung der Sitzung vorliege. Die Zuhörerin müsse allerdings „als Person identifizierbar“ bleiben. Eine Ganzkörperschleier im Stil afghanischer Burkas ginge also auch den Verfassungsrichtern zu weit.

Der Jugendrichter war gestern zu keiner Stellungnahme bereit, weil ihm das Urteil noch nicht vorlag. Ein Sprecher der Berliner Justiz wies aber darauf hin, dass es sich um einen „Einzelfall“ handelte. Der Richter habe zwar mehrfach das Ablegen des Kopftuchs verlangt, andere Richter seien ihm aber nicht gefolgt.

„Es kann nicht sein, dass ein Richter ohne sachlichen Grund eine offensichtlich muslimische Frau aus dem Saal drängt“, sagte Anwältin Karagöz und freute sich über die Entscheidung: „Ich bin ja selbst Migrantenkind.“

Der Karlsruher Beschluss gilt zunächst nur für Zuschauerinnen. Ob muslimische Richterinnen ein Kopftuch tragen dürfen, wurde bisher mangels eines solchen Falls nicht entschieden. Vor zwei Jahren scheiterte ein Anwalt, der eine kopftuchtragende Schöffin wegen „Befangenheit“ abgelehnt hatte. Der Antrag wurde zurückgewiesen, auch weil der Fall gar keinen Zusammenhang zum muslimischen Glauben hatte. (Az.: 2 BvR 277/05)

Christian Rath