Wachstum mit Hürden

BIOFACH-THEMEN 2014 Die Perspektiven für unsere Ernährung sind grün. Bio ist sehr gefragt, doch es fehlt an Ackerflächen

VON MICHAEL PÖPPL

Das Geschäft mit Bio boomt und verspricht gute Umsätze, das gilt natürlich vor allem für die Lebensmittelindustrie. Der Umsatz von Biolebensmitteln stieg im Jahr 2011 europaweit um neun Prozent auf 21,5 Milliarden Euro, so der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). In Deutschland wuchs die Biobranche im gleichen Zeitraum ebenfalls um neun Prozent. Im Folgejahr 2012 schwächte sich das Wachstum zwar leicht ab, jedoch lag die Steigerung in der Bundesrepublik immerhin noch bei sechs Prozent. Der deutsche Umsatz mit Biolebensmitteln und -getränken summierte sich auf über sieben Milliarden Euro.

„Doch die Wachstumsrate der Bioackerflächen in Deutschland hinkt dem Umsatzwachstum hinterher“, so Stefan Zwoll, Geschäftsführer des BÖLW. „Die deutschen Biobauern können dem steigenden Bedarf im eigenen Land nicht mehr nachkommen. Und eine Erweiterung des ökologischen Landbaus wird immer schwieriger, weil die Preise für landwirtschaftlich nutzbare Flächen überproportional steigen.“ (Artikel Seite III.). Als eine der wichtigsten politischen Maßnahmen gegen diesen Trend sehen die Interessenvertreter der Biobranche eine flächenbezogene Beibehaltungsförderung auf 300 Euro pro Hektar. „Damit werden ja nicht nur die Biobauern unterstützt, um ihre Betriebe wirtschaftlich zu erhalten“, so Zwoll, „sondern auch ihre gesellschaftlichen Leistungen für Klima-, Grundwasserschutz, Landschaftspflege und Erhalt ländlicher Strukturen entlohnt.“

Die globale Zukunft der Biobranche wird eines der wichtigsten Themen der diesjährigen Biofach in Nürnberg sein. Die „Weltleitmesse für Biolebensmittel“ erwartet über 2.400 Aussteller und mehr als 40.000 internationale Fachbesucher, die sich nicht nur mit dem ökologischen Landbau, sondern auch mit modernen Vertriebswegen, der Zukunft ökologischer Tierhaltung, mit besseren Kontrollen von Biolebensmitteln, aber auch mit neuen Marketingmethoden beschäftigen werden. Die Biofach hat sich in den 25 Jahren seit ihrer Gründung mehr und mehr gewandelt. Neben ihrer Funktion als klassischer Marktplatz und Treffpunkt für die Vertreter aus Biowirtschaft und Politik ist sie auch zur wichtigen Börse für den Gedankenaustausch innerhalb der Ökobranche und zum Ausgangspunkt für Ideen und Innovationen geworden.

Eine der Referentinnen zur Zukunft der Biobranche ist die österreichische Foodtrend-Expertin Hanni Rützler von der Zukunftsinstitut GmbH. In einer neuen Trendstudie mit dem bezeichnenden Titel „Organic 3.0“ behandelt sie die Entwicklungspotenziale der ökologischen Lebensmittelbranche, die vor allem auch ein neues Servicedenken verlangen, so Rützler: „Verbraucher, die sich gesund und umweltbewusst ernähren wollen, brauchen kuratierte Angebote, klare Empfehlungen, die ihren Bedürfnissen entsprechen. Biosupermärkte zum Beispiel bieten ihrer Zielgruppe ein klar eingegrenztes Angebot zur gesunden Ernährung. Wogegen Verbraucher im klassischen Discounter die Biowaren erst aufwändig zusammensuchen müssen.“ Doch mit der Ausweitung des Supermarktangebots sei es noch lange nicht getan: „Ökologisch erzeugte Lebensmittel und bewusste Ernährung sind längst Teil des Alltags. Erzeuger und Produzenten müssen nun lernen, sich mit ihren Lebensmitteln auch gegen die konventionellen Mitbewerber durchzusetzen“, sagt Rützler.

Neue Angebote der Branche sollen dem Biokunden bei der „holistischen Bewältigung des Alltags“ – also ganzheitlich – helfen, gesunde Lebensmittel, praktische Serviceangebote und den richtigen Umgang mit den Biowaren zu verbinden. „Was fehlt, sind Sortimente mit einem klaren, nachvollziehbaren Gesundheitsprofil beziehungsweise kuratierte Angebote, die dabei unterstützen, Ernährungsgewohnheiten, jenseits von Diätmoden und Radikalkuren, schrittweise in eine gesündere Richtung zu verändern.“ Holismus und Nachhaltigkeit, Regionalität und Gesundheit seien wichtige Begriffe, mit denen sich die Bioproduzenten in der Zukunft beschäftigen müssten, so Rützler: „Der mündige Konsument fordert offensive Transparenz. Bei tierischen Produkten sind Herkunft, Haltungsform sowie Fütterung und Schlachtung wichtige Verkaufsargumente.“

Die Biobranche muss sich zudem auf verändernde Ernährungsgewohnheiten umstellen. Immer mehr Kunden sind „Flexitarier“, das heißt, sie kaufen zwar noch Fleischprodukte und Fisch, aber in Maßen. Bereits 52 Prozent der Deutschen, so eine Forsa-Studie von 2012, würden an drei oder mehr Tagen pro Woche kein Fleisch mehr essen. Mit den vor allem in den Großstädten allgegenwärtigen Biosupermärkten sei noch lange nicht das Optimum an Kundenfreundlichkeit erreicht. Perfekt angepasste Onlineangebote und flexible, an moderne Arbeitszeiten angepasste Einkaufslösungen würden, so Rützler, die „Vorratskammer Supermarkt“ langfristig ersetzen. Ein Beispiel ist „Click & Collect“, das seit zwei Jahren bei der britischen Supermarktkette Tesco bestens funktioniert: Der Kunde bestellt über seine Shopping-App und nutzt das „Drive-Thru-Angebot“, bei dem nach Feierabend die Waren fertig verpackt tatsächlich im Vorbeigehen oder -fahren abgeholt werden – schöne neue Welt.

■ Kongressprogramm der Biofach: www.biofach.de/de/kongress/kongressplaner