Ein zerstörerisches Telefonat

Weil sie eine Großrazzia gegen illegale Beschäftigung ausgeplaudert hat, wird eine Zollfahnderin zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Über das Motiv herrscht Unklarheit – kriminelle Ambitionen aber werden ausgeschlossen

VON KAI VON APPEN

Ihre Beweggründe bleiben unklar und irgendwo im Innern von Eva Sch. verborgen. Details nennt die 49-Jährige nicht, trotz ihres schriftlichen Geständnisses gestern vor dem Hamburger Amtsgericht. War es „ein menschlicher Moment des Irrsinns“, der mit der Liebe zu einem Tennispartner und ihrer allgemeinen Hilfsbereitschaft etwas zu tun hat, wie es ihr Anwalt Phillip Napp im Plädoyer formuliert? Oder doch ein „ganz gezielter Verrat von Dienstgeheimnissen, wie er im Buche steht“, wie es Staatsanwalt Peter Stechmann nennt? Es ist eigentlich egal. Für den Anruf, den Eva Sch. am 15. Februar dieses Jahres morgens um 9.05 Uhr tätigte, muss sie teuer bezahlen: Er hat ihre berufliche Existenz zerstört – und teilweise ihr Leben.

Rückblende: Am 15. Februar bläst die Hamburger Polizei zur größten Razzia in der Geschichte der Hansestadt. 1.400 PolizistInnen aus dem ganzen Norden sollen einen Schlag gegen illegale Beschäftigung und Menschenhandel ausführen. 66 Objekte, darunter 43 Hotels, stehen auf der Liste, die an diesem Morgen gefilzt werden sollen – darunter namhafte Herbergen. Eigentliches Ziel der polizeilichen Ermittlungen jedoch sind vier Gebäudereinigungsunternehmen, die sich zu einer kriminellen Vereinigung verflochten haben sollen. Ihnen wird zur Last gelegt, Arbeitskräfte – vor allem aus Afrika – angeworben und mit falschen Papieren nach Deutschland geschleust zu haben. Diese Beschäftigten sollen dann zu Dumpinglöhnen als Schwarzarbeiter ohne Steuer- und Sozialabgaben in Putzkolonnen eingesetzt und in Hotels vermittelt worden sein.

Eingebunden in die Polizeiaktion ist auch der für Schwarzarbeit zuständige Zoll: Eva Sch. und ihr Kollege Jörg P. nehmen daher frühmorgens an den Einsatzbesprechungen im Hamburger Polizeipräsidium teil. Gegen 8.30 Uhr sind die Meetings beendet, die Anwesenden werden von den Einsatzführern mit den Worten verabschiedet, sie könnten noch einen Kaffee trinken, bevor es um Schlag zehn Uhr allerorten losgehen soll. Sch. und ihr Kollege P. sollen sich auf einem Polizeirevier im Stadtteil Bahrenfeld einfinden, um an der Razzia in einem nahe gelegenen Hotel teilzunehmen.

Eva Sch. ist seit 1995 in der Schwarzarbeitsfahndung tätig, anfangs beim Arbeitsamt. Vor zwei Jahren dann ist ihre Abteilung dem Zoll angegliedert und sie selbst gerade erst, zwei Wochen vor diesem Einsatz, auf Lebenszeit verbeamtet worden. Auf dem Weg zum Einsatz greift Sch. den Vorschlag der Vorgesetzten auf und schlägt ihrem Kollegen vor, in der Nähe des Einsatzortes, bei ihr zuhause, noch einen Kaffee zu trinken. „Sie wollte unbedingt nach Hause“, erinnert sich Kollege Jörg P. vor Gericht. Was dann passierte, habe er nicht mitbekommen.

Zuhause angekommen, greift Eva Sch. zum Telefon und ruft ihren Tennispartner Ralf K. an, den sie aus dem gemeinsamen Sportverein kennt, in dessen Vorstand sie auch engagiert ist. Sie weiß, dass K. mit dem Reinigungsunternehmer S. gut befreundet ist, der in demselben Verein Tennis spielt. Und dessen Firma auf der Liste der zu durchsuchenden Objekte steht. „Sie hat mich angerufen“, so Ralf K. gestern zögernd vor Gericht, „und mir die Information gegeben, dass um zehn Uhr eine Razzia ist.“

Sofort warnt Ralf K. seinen Sportsfreund S. wegen der bevorstehenden Polizeiaktion. Obwohl sich K. und S. sich am Telefon zunächst konspirativ verhalten, bekommt die Polizei Wind von K.s Warnung: Weil gegen die Beschuldigten auch wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wird, sind zahlreiche Telefone angezapft worden. Sofort reagiert die Einsatzleitung: Die Großrazzia wird vorverlegt. „Die Hotels wurden regelrecht mit Blaulichtern besetzt“, so vor Gericht der Staatsanwalt.

Dass Eva Sch. ins kriminelle Milieu verstrickt ist, davon geht er nicht aus. Und er räumt ein, dass wegen des schnellen Handelns der Einsatzleitung wohl „kein Beweismittelverlust“ eingetreten sein dürfte. 500 Personen werden an jenem Tag überprüft, 200 davon als illegale Schwarzarbeiter eingestuft. Trotzdem nennt der Staatsanwalt das Verhalten der Zollbeamtin einen „Hammer“ und „kaum zu überbieten“. Eva Sch. dagegen lässt ihren Anwalt erklären, dass sie den Beschuldigten S. „nicht gezielt“ informieren wollte. Den gemeinsamen Bekannten K. anzurufen, sei ein spontaner Entschluss gewesen.

Der Amtsrichter nimmt ihr diesen „spontanen Impulsdurchbruch“ ab und zeigt Milde: Eva Sch. wird wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses nur zu einem Jahr Haft auf Bewährung veurteilt. Bestraft, so der Richter, sei sie ohnehin: Ihren Beamtenjob ist sie los. Zudem leidet Sch. seit ihrer spektakulären Verhaftung am Tag nach dem Großeinsatz – im Auto mitten in einem Tunnel – und der anschließenden viertägigen Inhaftierung unter Depressionen und Angstzuständen. Alles nur wegen eines dummen Anrufs.