HAUS DER KULTUREN
: Tanzende Rollstühle

Unter dem Sitz flackert es wie eine Lichtorgel

„Music saved my life“ steht auf dem T-Shirt eines der Männer auf der Bühne. Er hält ein seltsames Gerät aus einer Dose, einem krummen Holzstück und einer Gitarrensaite in der Hand. Die Melodien aus seinem selbst gebastelten Instrument klingen wie von einer elektronisch bearbeiteten Gitarre. Die übrigen Musiker benutzen Gitarre, Bass und Schlagzeug oder einfach ihre Stimme.

Im Publikum tanzen betagtere Herrschaften in bunt bedruckter Kleidung wie entrückt zur Musik von Staff Benda Bilili. Die Band aus Kinshasa ist im Haus der Kulturen der Welt zu Besuch. Neben farbenfrohem Weltmusikpublikum und vereinzelten jüngeren Hipstern haben sich vor der Bühne viele Rollstuhlfahrer versammelt, die meisten von ihnen Frauen, manche sind deutlich jenseits der fünfzig. Mit dem durchgehenden Beat haben sie keinerlei Problem, sondern tanzen euphorisch mit. Eine Rollstuhlfahrerin hat ihren Warnblinker angeschaltet. Während sie sich mit dem Oberkörper zur Musik wiegt, flackert es unter ihrem Sitz wie eine Lichtorgel. Staff Benda Bilili lassen Rumba, Reggae, Funk und Afrobeat ganz selbstverständlich zu einem elegant verschachtelten Groove zusammenfließen. Dazu singen sie ergreifend schöne mehrstimmige Chorgesänge.

Drei der acht Musiker sitzen selbst im Rollstuhl, ein anderer steht auf Krücken. In ihrer kongolesischen Heimat leben die Polio-Gelähmten als Straßenmusiker, sind zum Teil obdachlos. Für die Zugabe verlassen sie nicht die Bühne, das übliche Auf und Ab wäre für sie wohl zu anstrengend. Nach einigen Minuten Klatschen spielen sie ihr letztes Stück, bedanken sich überschwänglich und verabschieden sich. Wenig später rollen einige der älteren Frauen mit Hochgeschwindigkeit durch die Flure des Hauses der Kulturen der Welt, andere Besucher schaffen es nur knapp, sich in Sicherheit zu bringen. TIM CASPAR BOEHME