Das Alte Reich

Vor 200 Jahren, am 6. August 1806, begab sich ein kaiserlicher Herold auf den Balkon der Wiener Kirche Am Hof, auch „zu den neun Chören der Engel“ genannt. Er verlas eine Erklärung des römisch-deutschen Kaisers Franz II. Darin verkündete der Monarch als Reaktion auf ein Ultimatum Napoleons, „dass Wir das Band, welches Uns bis jetzt an den Staatskörper des deutschen Reichs gebunden hat, als gelöst ansehen. Gleichzeitig sagte er sämtliche „deutschen Provinzen und Reichsländer von allen Verpflichtungen, die sie bis jetzt gegen das deutsche Reich getragen haben, los“. Damit war das Heilige Römische Reich Deutscher Nation aufgelöst.

Dem eigenen Selbstverständnis nach hatte das Reich tausend Jahre lang die Tradition des Imperium Romanum fortgeführt. Nach der mittelalterlichen Theorie der „translatio imperii“ war das Kaisertum des griechischen Ost-Rom mit der Krönung Karls des Großen im Jahr 800 auf das Frankenreich übergegangen, später auf dessen östlichen Teil. Seit dem Hochmittelalter bürgerte sich für dieses „Römische Reich“ die Bezeichnung „heilig“ ein, seit dem Spätmittelalter der Zusatz „deutscher Nation“.

Statt einer einheitlichen Verfassung besaß das Reich eine ganze Reihe von „Grundgesetzen“, etwa den Ewigen Landfrieden von 1495, den Augsburger Religionsfrieden von 1555 oder den Westfälischen Frieden von 1648. Das erste und wichtigste war die Goldene Bulle von 1356, die das Verfahren bei der Kaiserwahl regelte. Zur Stimmabgabe waren fortan nur die sieben Kurfürsten berechtigt – neben den Bischöfen von Mainz, Köln und Trier die weltlichen Herrscher von Böhmen, Sachsen, Brandenburg und der Pfalz. Die Abstimmung fand stets in der Wahlkapelle des Frankfurter Doms statt. Den Kaiser stellten seit 1438 mit nur einer Unterbrechung die Habsburger, die überwiegend in Wien residierten.

Das Reich bestand zuletzt aus mehr als 300 geistlichen und weltlichen Territorien, den Reichsständen. Auf den Reichstagen waren sie zu drei Kurien zusammengefasst, dem Kurfürsten-, Fürsten- und Städtekollegium. Ein förmlicher Beschluss, der „Reichsabschied“, kam nur mit Zustimmung aller drei Kurien zustande. Ursprünglich wurden die Reichstage an wechselnden Orten einberufen, ab 1663 tagte der „Immerwährende Reichstag“ in Regensburg.

Der Europarat widmet dem Heiligen Römischen Reich zum 200. Jahrestag seines Untergangs eine Doppelausstellung, die am 28. August eröffnet wird und bis zum 10. Dezember läuft. Der erste Teil im Kulturhistorischen Museum Magdeburg (täglich 10 bis 19 Uhr, Eintritt 8 Euro) behandelt das Mittelalter, der zweite Teil im Deutschen Historischen Museum Berlin (täglich 10 bis 18 Uhr, Eintritt 4 Euro) die Neuzeit. Der fünfbändige Katalog für beide Ausstellungen inklusive eines Kolloquiumsbandes kostet 135 Euro. Weitere Informationen: www.heiligesreich.de.

Pünktlich zum Jubiläum ist in der Buchreihe „Beck Wissen“ von Barbara Stollberg-Rilinger erschienen: „Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806“ (133 Seiten, 7,90 Euro). Ausführlicher Georg Schmidt: „Geschichte des Alten Reiches. Staat und Nation in der Frühen Neuzeit 1495–1806“ (Verlag C. H. Beck, 459 Seiten, 19,90 Euro) – allerdings mit der steilen These, es habe sich bereits um eine Art Nationalstaat gehandelt. Als Klassiker gelten die vergriffenen Bände „Aufbruch und Krise“ sowie „Höfe und Allianzen“, die der Berliner Historiker Heinz Schilling für die „Deutsche Geschichte“ des Siedler-Verlags geschrieben hat. RAB