Zivilisten zwischen Sri Lankas Fronten

Die schweren Kämpfe im Osten Sri Lankas zwischen den tamilischen Rebellen der Tamil Tigers und der Regierungsarmee treiben tausende Einwohner der Stadt Muttur in die Flucht. Norwegischer Vermittler versucht den Waffenstillstand zu retten

AUS DELHI BERNARD IMHASLY

Die Zahl der Toten bei den jüngsten Kämpfen zwischen den separatistischen tamilischen Rebellen (LTTE) und der sri-lankischen Armee nahe der nordöstlichen Hafenstadt Trincomalee ist gestern auf 161 gestiegen, als fünf weitere Zivilisten durch Artilleriefeuer ums Leben kamen. Zwei Opfer starben an den Verletzungen, die sie am Donnerstag erlitten hatten, als in der Stadt Muttur Raketen in eine Islamschule einschlugen. In diese hatten sich mehrere hundert Einwohner geflüchtet. Laut der BBC sollen bei diesem Angriff 17 Zivilisten ums Leben gekommen sein.

Sie sind die vorerst letzten Opfer in einer eskalierenden Konfrontation zwischen Armee und LTTE, die vor rund einer Woche begonnen hatte. Es geht um die Kontrolle der Schleuse eines Kanals im Hinterland von Muttur. Diese war von der LTTE geschlossen worden und schnitt damit singhalesischen und muslimischen Bauern das Wasser ab. Die Armee ging mit Bodentruppen und der Luftwaffe gegen die Besetzer vor, ohne dass es ihr bisher gelang, das Wehr zu besetzen.

Einige Beobachter in Colombo vermuten, dass die LTTE der Armee eine Falle stellte. Denn die Truppen trafen auf stark vermintes Gelände und Verteidiger, die sich in großer Zahl im dichten Dschungel um den Kanal herum eingenistet hatten. Zudem weiteten die Tamil Tiger ihre Angriffe rasch aus. Zuerst griff deren Sea Tigers genannte Flotte die Marinebasis in Trincomalee an, dann regnete es Raketen auf Armeelager in der Umgebung. Und dannversuchten sie, die Garnison aus Muttur zu vertreiben.

Die Stadt Muttur mit 22.000 mehrheitlich muslimischen Einwohnern liegt am südlichen Eingang der Bucht von Trincomalee und ist wie die gleichnamige Stadt nördlich davon strategisch bedeutsam. Denn sie ermöglicht den Zugang zu Trincomalees Tiefseehafen mit seinen großen Erdöllagern zu kontrollieren. Die Umgebung von Muttur ist mehrheitlich von Tamilen besiedelt und wird von der LTTE kontrolliert. Deren Verhältnis zur muslimischen Minderheit ist dort seit langem gespannt.

Der Fährtransport in der Bucht ist zum Erliegen gekommen. Laut Internationalem Komitee des Roten Kreuzes ist Mutturs Bevölkerung eingeschlossen und für Hilfsgütertransporte unerreichbar. 7.000 Familien sollen zu Fuß auf der Flucht sein und versuchen, durch das Hinterland die Hauptstraße Trincomalee–Colombo zu erreichen. Auch aus Dörfern in der Umgebung sollen Menschen in der Stadt Zuflucht gesucht haben.

Trotz der Kämpfe, die sich von einem regulären Krieg nicht unterscheiden, halten beide Seiten daran fest, dass sie defensiv handeln und damit den Waffenstillstand nicht verletzen. Der einzige Lichtblick ist, dass sich die Kämpfe bisher nicht ausgeweitet haben. Der norwegische Vermittler Jon Hanssen-Bauer, der gestern ins LTTE-Hauptquartier in Kilinocchi reiste, wird versuchen, mit diesem Faden die Konfliktparteien vom Abgrund des Krieges wegzuziehen und den 2002 von Oslo vermittelten Waffenstillstand noch zu retten.

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