Jetzt kommen die Gewinnmaximierer

AUS BERLIN MANFRED KRIENER

Die Großen fressen die Kleinen. Seit Bio boomt, gehen viele Bioläden und Vollkornbäckereien am Stock. Vor allem die Biosupermärkte drücken auf die Umsätze. „Das spüren wir“, sagt Wilfried Fahlenbock von der Berliner Vollkornbäckerei „Mehlwurm“. Wie viele andere Pioniere der 70er- und 80er-Jahre kämpft die Neuköllner Biobäckerei ums Überleben. Den Supermärkten zuzuliefern, dafür ist sich der Betrieb zu schade. Fahlenbock: „Wir wollen uns nicht erpressbar machen. Die Supermärkte wollen große Mengen zu kleinen Preisen, irgendwann zahlen die nur noch 1,60 fürs Brot und du stehst ziemlich dumm da!“ Auf den Bioboom sind die „Mehlwürmer“ eher schlecht zu sprechen.

„Die Ökopioniere haben ihre Schuldigkeit getan“, schreibt Dietmar Groß, einer der intellektuellen Köpfe der Bauernopposition, mit beißendem Spott in der Bauernstimme. Jetzt, so glaubt er, schlage die Stunde der „Kostenoptimierer“ und „Gewinnmaximierer“, die nichts am Hut haben mit den Träumen von einer anderen Landwirtschaft, mit ethischen Maßstäben und dem Respekt vor der Umwelt. Jetzt entern die Profis den Markt: „Die Ideale des Ökolandbaus werden zugunsten schnellen Profits verramscht.“ Groß sieht trotz des Erfolgs „mehr Verlierer als Gewinner“.

Die genau entgegengesetzte Position vertritt Biomarktforscher Ulrich Hamm. Der Kasseler Professor für Agrarmarketing erkennt vor allem die Chancen des Biobooms und mag das ewige Gejammer nicht mehr hören: „Man kann einen Markt auch kaputt reden.“ Für ihn steht fest, dass die Bio-Rallye eine segensreiche Wirkung zeitige. „Die Erzeugerpreise gehen nach oben, und sie werden weiter anziehen.“ Die Nörgler hätten vergessen, sagt Hamm, wie sich der Markt über viele Jahre präsentiert habe: viel Bio, aber wenig Nachfrage. Riesige Überschüsse seien zu schlechten Preisen auf dem konventionellen Markt verkauft worden. Viele Ökobauern hätten enttäuscht aufgegeben und wieder umgestellt auf normale Landwirtschaft. Jetzt würden auch die Erzeuger profitieren.

Wegen des Booms sind Biokartoffeln, Schweine- und Geflügelfleisch knapp geworden. „Der Markt ist richtig leer gefegt“, staunen die Experten der Zentralen Markt- und Preisberichtsstelle (ZMP). Die aktuellen Zahlen der Branche sind eindrucksvoll. Die Umsätze des Biomarkts steigen weiter zweistellig und mit erstaunlichem Tempo. Voriges Jahr verzeichnete der Biomarkt ein Plus von 12 Prozent bei einem Umsatz von 3,9 Milliarden Euro (2004: 3,5 Mrd.). Obst und Gemüse konnten mit 42 bzw. 21 Prozent zulegen. Noch eindrucksvoller sind die Wachstumskurven, wenn man weiter zurückblickt. Zum Jahresbeginn 2000 – noch vor der BSE-Stampede – verkaufte der Lebensmitteleinzelhandel (ohne Discounter) ganze 200.000 Liter Biotrinkmilch pro Woche. Im April 2006 waren es 1,8 Millionen Liter – 9-mal so viel. Die ZMP illustriert die Zahlen zum Biomarkt neuerdings mit einem Düsenjäger, der die Schallmauer durchbricht.

Gleich 60 neue Biosupermärkte haben 2005 eröffnet und ihre Zahl auf 300 geschraubt. Wo Latzhosenträger einst Soja, Müsli und Schrumpelmöhren verkauften, erklären heute frisch gegelte Weinberater der Kundschaft Tannin-Management und Holzaromatik spanischer Bioweine. Die ökologische Landwirtschaft ist endgültig raus aus der Nische. Bio wird für immer mehr Verbraucher zum Routinekauf und deckt inzwischen bei anspruchsvollen Doppelverdienern oder gesundheitsbewussten Essern den kompletten Bedarf. In dem seit Jahren stagnierenden Lebensmittelmarkt ist Bio „einer der ganz großen Trends“, so die Marktanalyse des bayerischen Einzelhandelsverbands.

Alle wollen bei Bio dabei sein

Das haben inzwischen auch die Discounter begriffen. Die drei Großen – Plus, Lidl und Aldi – haben mit lautem Getöse und eigenen Biomarken die grüne Flagge gehisst. „Keiner kann es sich heute leisten, nicht bei Bio einzusteigen“, kommentiert Bioland-Sprecher Gerald Wehde die Marktlage. Plus hatte schon 2002 die Regale freigeräumt und angekündigt: „Wir machen Bio bezahlbar.“ Jetzt rühmt man sich, die Produkte „aus der Ökoecke rausgeholt“ zu haben. Die Plus-Hausmarke „BioBio“ hat ihren Umsatz glatt verdoppelt.

Inzwischen ist Lidl nachgezogen und hat ähnlich ehrgeizige Zielvorgaben verkündet wie einst die Mutter des Bioaufschwungs Renate Künast. Der Billigheimer will seinen Ökoumsatz auf 20 Prozent bringen. Für Lidl ist der Einstieg ins Ökogeschäft auch ein Versuch, sein ramponiertes Image zu liften. Beim großen Obst- und Gemüse-Check auf Pestizid-Rückstände hatte der Discounter noch im Vorjahr die Rote Laterne im Testfeld getragen. Bei Lidl waren 32 Prozent der von Greenpeace auf Giftrückstände geprüften Waren als „nicht empfehlenswert“ durchgefallen. Niemand war schlechter. Jetzt macht Lidl brav auf Bio und legt sogar das Greenpeace Magazin aus.

Branchenführer Aldi hat erst im Frühsommer mit etwa 20 Produkten die Biowende der Discounter komplettiert. Basics wie Müsli, Honig, Gemüsesäfte, Möhren, Käse und Äpfel werden jetzt unter der Eigenmarke „Prima Bio“ angeboten. Freilandeier und Biokartoffeln hatte Aldi schon früher im Angebot, Kartoffeln aber immer nur über wenige Wochen, solange das knappe Angebot reichte.

Der Einstieg der Discounter hat die Marktlandschaft heftig durcheinandergewirbelt. Im vergangenen Jahr haben sie ihren Marktanteil bei Biolebensmitteln um 51 Prozent gesteigert. Aldi verkauft jetzt 5-mal so viel Biokartoffeln wie der gesamte Naturkosthandel. Auch bei Mohrrüben liegen die Discounter vorn. Mehr als die Hälfte aller Biomöhren gehen allein bei Aldi über den Kassenscanner. Und während sich Teile der Bioszene noch gegen neue Abhängigkeiten und die Aldisierung grüner Träume wehren, konstatiert Marktforscher Hamm kurz und knapp: „Aldi zahlt den Erzeugern die besten Preise.“

Zum Zug kommen allerdings nur Großbetriebe, die entsprechende Mengen liefern. Auch Deutschlands Gemüsekönig, die Behr AG im norddeutschen Ohlendorf, hat Teile seiner Erzeugung umgestellt. Nicht aus Überzeugung, sondern um Supermärkte und Discounter mit biologischem Brokkoli, Blumenkohl und buntem Salatmix zu beliefern. Die großen Ketten machen nämlich bei den Zulieferern Dampf und verlangen Bioware. Sri-lankische Schlepperfahrer und polnische Saisonarbeiter sorgen beim größten deutschen Gemüseanbauer für profitable Strukturen. Gleich 1.000 Hektar werden jetzt bei Behr nach EU-Biorichtlinie bewirtschaftet. Da schluckt der kleine Ökobauer.

Konkurrenz aus dem Ausland

Neben dem preisdrückenden Einstieg der Großen fürchtet die Branche vor allem die ausländische Konkurrenz. Die neuen Strukturen könnten schnell dafür sorgen, dass Auslandsimporte noch stärker wachsen, sagt Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Wenn Lidl 20 Prozent Bio verkaufen will, dann könnten solche Mengen nur mit großen Auslandsimporten abgedeckt werden. Das werde den Preisen schaden, glaubt der grüne Agrarpolitiker.

Marktforscher Hamm widerspricht auch hier. Importe würden vor allem solche Produkte betreffen, die nicht auf deutschem Acker wachsen, von der Ananas bis zum Hochland-Tee, oder die hier nur eine kurze Saison haben, wie Tomaten. Die von der ZMP erhobenen Zahlen zeigen allerdings, dass auch bei Äpfeln, Birnen, Gurken oder Möhren ausländische Bioprodukte vergangenes Jahr doppelt so stark zulegten wie die heimischen. Daran, sagt Hamm, sei die Bioszene auch ein wenig selbst schuld. Ihr Gejammer habe viele umstellungswillige Bauern abgeschreckt. Während der Biomarkt 2005 um 12 Prozent wuchs, vergrößerte sich die Anbaufläche nur um 5 Prozent. Und nur 47 neue Betriebe kamen dazu. Hauptverantwortlich dafür ist indes die Förderpolitik mehrerer Bundesländer, die ihre Umstellungsprämien kürzen. Sollte sich das Bremsmanöver fortsetzen, könnte das rasante Wachstum des Marktes an der deutschen Scholle vorbeigehen.

Der Zwang zu wachsen (oder zu weichen!) – eine Grundkrankheit der alten Landwirtschaft – wird künftig jeden Bioerzeuger unter Druck setzen. Spezialisierung, Rationalisierung, Technisierung und Vergrößerung der Betriebe, da zumindest sind sich die Experten einig, sind eine direkte Folge des Biobooms. Viele Erzeuger bewegen sich zudem „immer mehr am Rande des eben noch Erlaubten, dadurch wird sich die Qualität von Biolebensmitteln verschlechtern“, heißt es im Jahresbericht der Hof am Weiher AG. Der Vorzeige-Bioland-Betrieb verzeichnete als Selbstvermarkter zuletzt ein Plus von 35 Prozent und setzt auf Expansion. Zu den Folgen des Booms heißt es im Geschäftsbericht: „Den klassischen Bauernhof wird es in einigen Jahren auch im Ökolandbau nicht mehr geben. Das ursprüngliche, ganzheitliche Kreislaufmodell eines vielfältigen Hoforganismus kommt unter die Räder.“ Dass ausgerechnet der Erfolg der ökologischen Landwirtschaft einmal ihr großes Problem werden könnte, mit dieser Pointe hatten die Pioniere der 70er-Jahre zuletzt gerechnet.