Qualifikation zur Einkaufstour

Wenn der HSV am Mittwoch nicht gegen den unbequemen Kontrahenten Osasuna Pamplona in die Champions League einzieht, rückt das Projekt „europäischer Spitzenclub“ in weite Ferne

von JAN KAHLCKE

Diese Szene muss den HSV-Verantwortlichen wieder und wieder durch den Kopf gehen: 13. Mai, 15:58. Es steht 0:0 im letzten Saisonspiel gegen Werder Bremen. Der HSV ist die bessere Mannschaft. Es scheint geschafft. Mit einem Punkt Vorsprung vor den Bremern steht der HSV auf dem zweiten Tabellenplatz, der zur Teilnahme an der Champions League berechtigt. All die Mühen haben sich gelohnt, all die Millionen für van Buyten, Boulahrouz, van der Vaart und de Jong waren klug ausgegeben, denn jetzt sind sie nur noch eine Stunde vom ganz großen Geldsegen entfernt.

Da spritzt aus heiterem Himmel Ivan Klasnić in einen Klose-Schuss. Ausgerechnet Ivan Klasnić, der schon seit geraumer Zeit sagt, wie sehr er seine Heimatstadt Hamburg liebt. Den sie schon seit Jahren umgarnen, zerknirscht darüber, dass sie nicht auf Zack waren, als er den FC St. Pauli verließ. Er drückt den Ball über die Linie, bekreuzigt sich wie immer, wenn er getroffen hat, und zeigt den Bremer Fans seine Fingerpistole als wollte er sagen: Noch ballere ich für euch!

Am Ende verliert der HSV mit 1:2. Aus der Traum. Statt Vorfreude auf die Champions League folgen drei Monate quälender Ungewissheit. Werden sie die Qualifikation schaffen? Werder darf mit zehn Millionen Euro Garantieeinnahmen auf Shopping-Tour gehen. Der HSV muss bei jedem Transfer überlegen: Können wir das auch ohne Champions League stemmen? Und die Hamburger Boulevardpresse zieht fast täglich einen neuen Starkicker aus dem Hut, den der HSV angeblich holen will. Aber immer wieder heißt es: zu teuer.

Und wer möchte schon zu einem Verein wechseln, der in Europas Eliteklasse vielleicht gar nicht dabei ist? HSV-Abwehrchef Daniel van Buyten geht auf Nummer sicher, wechselt zum FC Bayern.

Trotz dieser Unwägbarkeiten sind Manager Dietmar Beiersdorfer ein paar gute Transfers gelungen: Mit van Buytens belgischem Landsmann Vincent Kompany ist ein Nachfolger gefunden, der schon jetzt, mit gerade einmal 20 Jahren, ähnliche Sicherheit ausstrahlt – und zwei Millionen Euro weniger kostete, als van Buyten einbrachte. So war genügend Geld da, um die schon in der vergangenen Saison erschreckend schwache Offensive zu verstärken, die durch die Abgänge von Barbarez, Ailton und Takahara weiter ausgedünnt wurde. Mit Paolo Guerrero und Boubacar Sanogo kamen zwei junge Angreifer der gehobenen Bundesliga-Mittelklasse mit viel Luft nach oben. Sie können dem HSV durchaus weiterhelfen, wenn sie weiterhin so hervorragend harmonieren, wie es in Ansätzen im Ligapokal-Halbfinale zu sehen war.

Ansonsten war der Ligapokal ein weiterer Rückschlag für die internationalen Ambitionen des HSV. Dringend hätte die Mannschaft eine Finalteilnahme gebraucht, um sich unter Wettkampfbedingungen für die Qualifikation zur Champions League einzuspielen. Und die Einnahmen – immerhin zwei Millionen Euro für den Sieger – hätten weitere Transfers wahrscheinlicher gemacht. Aber wieder war der Nordrivale Werder Bremen für die munter spielenden Hamburger Endstation.

Was der HSV aus dem Spiel gegen die keineswegs drückend überlegenen Bremer mitnimmt, ist eine Lektion in Sachen Cleverness, vor allem für „Abräumer“ Nigel de Jong, der sich diesmal per Platzverweis selbst vom Feld räumte. Der 1:0-Sieg im kurzfristig als Ersatz für das entgangene Finale anberaumten Testspiel gegen die AS Rom am Samstag war wenig aufschlussreich, weil die Italiener in der Saisonvorbereitung noch nicht so weit gediehen sind wie die Bundesliga-Clubs und Nationalspieler wie Perotta und Totti nach dem WM-Finale noch nicht wieder einsatzbereit sind.

Am Mittwochabend in der AOL-Arena findet das Erste von den zwei Spielen statt, in denen es um die mittelfristige Zukunft des HSV geht. Eine Woche später, nach dem Rückspiel, wird die Clubführung wissen, worauf sie sich einzustellen hat: Litex Lovech oder Inter Mailand, Atvidabergs FF oder FC Chelsea.

Es ist eine der ungemütlichsten Aufgaben, die der Lostopf bereithielt: Gegner CA Osasuna Pamplona wurde in der vergangenen Saison Vierter der spanischen Primera División – zwei Punkte hinter Real Madrid. Das Team aus Navarra überraschte die Experten, vor allem dank eines sehr ausgeglichenen Kaders und robuster Mannschaftsleistungen, schlug so beispielsweise den späteren Meister FC Barcelona. Ex-HSV-Stürmer Bernardo Romeo spielt bei den Nordspaniern nur die zweite Geige: Top-Torjäger ist der listige Serbe Savo Milosević. Ein Typ, der ein wenig an Werders Ivan Klasnić erinnert…

Der könnte für die Hamburger doch noch einmal Thema werden, wenn sie sich gegen Osasuna durchsetzen: Für die Champions League bräuchte der HSV einen abgezockten Sturmführer. Und Werder wird zwar nicht müde, den Wert von Klasnić zu betonen, holte aber nach dem Abgang von Nelson Valdez mit Rückkehrer Mohammed Zidane und dem Portugiesen Hugo Almeida gleich zwei neue Stürmer ins Team. Und Sportchef Klaus Allofs sagte just in dieser Woche der Sport Bild, wenn alles normal laufe, werde Sturmtalent Aaron Hunt über kurz oder lang Nationalspieler. Klasnić, der sich nicht gerade als Trainingsweltmeister einen Namen gemacht hat, muss auf jeden Fall um den Platz an Kloses Seite kämpfen. Im Ligapokal gegen den HSV bekam er schon mal einen Vorgeschmack darauf: Er durfte von der Reservebank aus zuschauen, wie Zidane sein erstes Saisontor erzielte, schlug allerdings auch im Finale mit einem Doppelpack gegen die Bayern zurück. Beim HSV wäre der Kroate wohl gesetzt – eine verlockende Vorstellung.