Der Staatsplan Gold

PAARLAUF Tatjana Wolossoschar und Maxim Trankow haben den von ihnen erwarteten Sieg geholt. Dieses Ziel war schon 2010 von russischen Offiziellen ausgegeben worden

„Vier Jahre lang haben wir die Verantwortung gespürt“

TATJANA WOLOSSOSCHAR

AUS SOTSCHI ANDREAS RÜTTENAUER

Sportminister Witali Mutko ist nicht gerade als Scherzkeks bekannt. Doch an diesem Abend war der Sportführer der Russischen Föderation bestens gelaunt, nachdem die Goldmedaille im Paarlauf auf dem Eis wieder dahin zurückgeholt worden war, wohin sie in den Augen der meisten Fans im Gastgeberland der Spiele gehört – nach Russland. Tatjana Wolossoschar und Maxim Trankow, die vor ihren Landsleuten Xenia Stolbowa und Fjodor Klimow sowie dem gehörig gestrauchelten deutschen Paar Aljona Savchenko/Robin Szolkowy gewonnen hatten, sprachen nach ihrer Siegerkür gerade davon, dass sie ihr Gold ganz Russland widmen, da platzte der muntere Mutko in den Saal der Pressekonferenz, entschuldigte sich für sein spätes Erscheinen und witzelte, dass daran die Dopingkontrolle schuld gewesen sei. Dann umarmte er die beiden und bedankte sich bei ihnen im Namen des russischen Staats.

Selten war ein Wettbewerb so staatstragend wie dieser. Selten wurde so generalstabsmäßig an einer Goldmedaille gearbeitet, und selten gelang es dabei, noch eine zweite Geschichte zu erzählen: die Geschichte eines Paares, das in Harmonie verschmilzt. Diese wurde in einem Dokumentarfilm über die beiden erzählt, den jeder Eislauffan in Russland kennt und der einen Titel trägt, der kitschiger kaum sein könnte: „Das erste Paar – mehr als nur Liebe“. Mit der olympischen Goldmedaille hat sie nun ein Happy End gefunden.

Und Maxim Trankow wusste, was nach der Kür von ihm erwartet wurde. Er hat den Macho gegeben, als er unmittelbar nach den letzten Takten der Musik zur Kür des Gewinnerpaares seine Fäuste gen Himmel reckte und auf den Knien über das Eis schlitterte. Und er hat den liebenden Partner gegeben, als er nach dem Wettkampf sagte: „Kein Star, keine Sängerin oder Tänzerin wird Tanja je ersetzen können und mich dazu bringen, meine Karriere zu beenden.“ Jede Menge Schmalz sonderte Trankow da ab, dabei sollte er doch nur beantworten, ob er weiter Wettkampfsport machen oder ins Showbusiness wechseln wolle. Der Lohn folgte prompt. Die Augen seiner Partnerin wurden feucht und viele russische Journalisten waren so gerührt, dass sie applaudierten.

Trankows Geschichte haben sie oft aufgeschrieben. Als 15-Jähriger ist er auf der Suche nach einer Partnerin für das Eis allein von seiner Heimatstadt Perm nach St. Petersburg gezogen. Ein Zimmer konnte er sich nicht leisten und hat meist in den Vorbereitungsräumen der Trainer übernachtet. Wie gut, dass die Mitarbeiter der Kantine im Eiszentrum dem mittellosen Jüngling jeden Tag eine warme Mahlzeit zugeschustert haben. Sonst wäre aus dem kleinen Maxim nie der Kerl geworden, den ganz Russland heute anhimmelt. Und das war, weiß Gott, auch nicht immer so. Als er mit seiner damaligen Partnerin Marija Muchortowa bei den Spielen in Vancouver 2010 nur Siebter wurde, da war das Land bereit, den ehrgeizigen Sohn zu verstoßen.

Von 1964 bis 2010 hatten immer russische Paare bei Olympia triumphiert. Dass ein Paar aus China in Vancouver siegte, war wie ein Schock für die Eiskunstlaufnation. Der Staatsplan Gold wurde entwickelt. Trankow war ein Teil dieses Planes. Um den zweiten kümmerten sich Sportminister Mutko und der Präsident des russischen Eislaufverbandes Walentin Pisejew. Sie fragten die Ukrainerin Tatjana Wolossoschar, die in Vancouver noch mit Stanislaw Morosow unter der gelb-blauen Flagge angetreten war, ob sie nicht fortan für Russland starten wolle. Die stand nach Morosows Karriereende eh ohne Partner da und hatte, da ihre Mutter aus Kaliningrad stammt, nichts gegen einen Heimatwechsel. So wurde das Paar, über dessen Harmonie heute so geschwärmt wird, im Jahr 2010 zusammengeschraubt – mit einem Ziel: Gold in Sotschi!

Wolossoschar beschrieb den Druck, unter dem die beiden standen. „Vier Jahre lang haben wir die Verantwortung gespürt“, sagte sie. Dass sie der gerecht geworden sind, das hat Sportminister Mutko besonders gut gefallen: „Ich bin froh, dass realisiert wurde, was man sich vorgenommen hat.“ Im Eiskunstlauf, wo die Russen schon den Teamwettbewerb gewonnen haben, klappt es also mit der Planerfüllung. Dass es woanders noch hapert, darüber wollte Mutko nicht reden. „Lasst uns heute über den Sieg freuen, was morgen ist, werden wir morgen sehen.“