Sozialarbeiter in Uniform

Die libanesische Armee wehrt sich weder gegen die israelischen Angriffe noch kann sie die Hisbollah entwaffnen. Aber kämpfen sollte sie auch noch nie

AUS BEIRUT MARKUS BICKEL

Spät, aber vielleicht nicht zu spät hat die US-amerikanische Regierung die Zeichen der Zeit erkannt: Angehörige der libanesischen Armee sollen von US-Militärs ausgebildet, die Einheit besser ausgestattet werden. Das gaben US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld und Außenministerin Condoleezza Rice am Freitag in Washington bekannt.

General John Abizaid an der Spitze des US-Zentralkommandos hatte schon am vergangenen Donnerstag erklärt, dass die libanesische Armee „eine bedeutende Modernisierung ihrer Ausstattung und Ausbildungsfähigkeiten“ brauche.

Nach fast vier Wochen des neuen Libanonkrieges ist das Verhalten der rund 72.000 Mann starken Truppe, die aus vielen Wehrpflichtigen und mit Polizeiaufgaben betrauten Rekruten zusammengesetzt ist, ausländischen Beobachtern immer noch ein Rätsel. Obwohl nach libanesischen Regierungsangaben inzwischen 73 Brücken, 72 Autobahnzufahrten und 6.800 Wohnungen durch die israelischen Angriffe zerstört wurden, setzen sich die staatlichen Einheiten nicht zur Wehr gegen die vom Boden, vom Meer und aus der Luft kommenden Attacken.

Wie eine Zivilschutztruppe

Zwar verteidigten libanesische Soldaten bei einer israelischen Kommandoaktion nahe der Hafenstadt Tyrus am Samstag ihre Stellung erstmals mit Luftabwehrgeschützen, nachdem israelische Kampfhubschrauber mehrere Raketen abgefeuert hatten. Ein libanesischer Soldat wurde getötet und eine Luftabwehrbatterie zerstört. Doch der Eindruck, der nach 26 Tagen Krieg bleibt, ist der einer Armee von Sozialarbeitern in Uniform.

Auf diese Formel reduzieren lässt sich auch die Rede des libanesischen Oberkommandierenden, Michel Suleiman, die er am 61. Jahrestag der Armeegründung hielt. „All Ihre Anstrengungen, Sicherheit und Stabilität zu wahren und den Vertriebenen Hilfe zu leisten, werden den Feind davon abhalten, sein Ziel zu erreichen“, erklärte der General vergangenes Wochenende vor versammelter Rekrutenschar.

Peter Harling, der das Libanonbüro der International Crisis Group (ICG) leitet, sagte der taz: „Im Grunde nimmt die Armee die Rolle einer Zivilschutzorganisation ein“, die sich seit Kriegsbeginn sehr stark in den Hauptflüchtlingsgebieten engagiere.

Religiös gespaltene Armee

Mehr als zwanzig Armeeangehörige sind seit Kriegsbeginn umgekommen. Allein elf tote und vierzig verletzte Soldaten hatte die nach ihrer Spaltung während des Bürgerkrieges seit Friedensschluss im Jahre 1990 Schritt für Schritt zusammengeführte Truppe zu beklagen, nachdem drei israelische Raketen am Ende der ersten Kriegswoche auf einem Armeegelände im nördlich von Beirut gelegenen Dschamhur einschlugen. „Die Einheit kümmert sich um Entwicklungsprogramme in ländlichen Gegenden“, sagte ein Armeesprecher danach der Beiruter Tageszeitung Daily Star.

Helfen statt kämpfen: Die staatlichen Truppen des Libanons sind schlecht ausgestattet, die 24 Hubschrauber etwa lassen sich nur mit tragbaren Maschinengewehren versehen. Die 310 Panzer, die meisten davon veraltete sowjetische T-54- und T-55-Modelle, sind ebenfalls nicht dazu angetan, die israelische Armee in die Flucht zu schlagen. „Es war immer klar, dass die libanesische Armee nicht in der Lage sein wird, Israel zu bekämpfen“, sagt der Vorsitzende der Sozialistischen Fortschrittspartei (PSP), Walid Dschumblatt, der taz. „Ihre Aufgabe ist es, das Waffenstillstandsabkommen von 1949 mit Israel durchzusetzen.“

Waffenstillstand? In diesen Tagen ein ferner Wunsch, der die libanesische Armee zudem vor neue Probleme stellt. Die schon in Resolution 1559 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen im September 2004 geforderte Entwaffnung der Hisbollah wird sie ohne Unterstützung der geplanten multinationalen Libanontruppe nicht erreichen können.

Schon die Zusammensetzung der während des Bürgerkrieges (1975–1990) entlang konfessioneller Linien auseinandergebrochenen Armee steht dem entgegen: Mit vierzig Prozent geben Regierungsvertreter den schiitischen Anteil an – eine Konfrontation mit der „Partei Gottes“ von Generalsekretär Hassan Nasrallah kommt für die meisten von ihnen nicht infrage.

Eine Einschätzung, die Anthony Cordesman in einer im Juli vom Washingtoner Center for Strategic & International Studies veröffentlichten, „Libanesische Sicherheit und die Hisbollah“ betitelten Studie teilt. So würden „die ethnischen und religiösen Spaltungen im Libanon und die Rolle, die die syrischen Besatzungstruppen gespielt haben“, die Schlagkraft der Armee noch für einige Jahre erheblich untergraben.