„Im Moment passt es nicht so …“

Das Telefon-Marketing wird auch immer dreister. Ein abendlicher Versicherungsdialog

„Dürfte ich mal bei Ihnen persönlich vorbeischauen, dann können wir das klären“

Samstagabend. Das Telefon klingelt. Herr Berger nimmt ab.

„Berger.“

„Guten Abend, Herr Berger. Hier Karsten Pohl von der Interconsult. Spreche ich mit Herrn Andreas Berger?“

„Ja.“

„Herr Berger, haben Sie ein paar Minuten für mich Zeit. Ich möchte Ihnen gerne ein Produkt der Interconsult vorstellen. Wir sind ein freier Finanzdienstleister und spezialisiert auf maßgeschneiderte Lösungen für steueroptimierte Geldanlagen …“

„Im Moment passt es nicht so gut.“

„Es würde nur ein paar Minuten dauern. Sie wollen doch sicher auch Steuern sparen, Herr Berger?“

„Ja natürlich, wer wollte das nicht, aber wie gesagt, im Moment …“

„Soll ich Sie lieber morgen noch einmal anrufen?“

„Morgen … eigentlich weniger.“

„Apropos weniger. Sie wollen doch auch weniger Steuern zahlen, Herr Berger! Ich hätte Ihnen da ein Angebot zu machen, mit dem Sie Ihre Steuerlast erheblich, wenn nicht sogar vollständig reduzieren können. Dürfte ich Ihnen das mal kurz …“

„Apropos kurz – morgen schauen wir kurz bei meiner Schwiegermutter in Miesbach vorbei. Sie hat Zucker und kann nicht mehr so gut gehen. Sie braucht ja auch mal eine Ansprache, weil sie kaum noch aus dem Haus kommt. Es wird jetzt immer schlimmer mit dem Gehen.“

„Immer schlimmer, natürlich. Das Finanzamt nimmt es doch von den Lebenden. Aber wir von der Interconsult könnten Ihnen da ein Paket schnüren …“

„Sag ich auch immer zu meiner Frau, jeder hat sein Päckchen zu tragen im Leben. Beim einen geht es so aus, beim andern anders. Die Menschen sind eben verschieden, Gott sei Dank, der eine stirbt an Krebs, der andere wird 100 Jahre alt, aber am Ende, da sind sie alle gleich, da kannst du nichts mitnehmen, das letzte Hemd hat keine Taschen.“

„Ja, um noch einmal zurückzukommen zu den Lebenden, denen greift Vater Staat doch ganz ungeniert in die Tasche. Und um das zu verhindern, kann ich Ihnen unsere Schiffsbeteiligungen und Windparkfonds nur ans Herz legen.“

„Mit dem Herzen hat meine Schwiegermutter ja gottlob keine Probleme. Aber eben mit dem Gehen. Da tut es ihr gut, wenn wir einmal die Woche bei ihr vorbeikommen und sie ein bisschen ausführen, verstehen Sie?“

„Verstehe vollkommen. Das ist ja auch sehr schön, dass Sie sich so kümmern um Ihre Schwiegermutter, aber Sie müssen natürlich auch an sich selbst denken. Man lebt schließlich nur einmal, und warum sollten Sie Ihr hart erarbeitetes Geld zum Fenster hinauswerfen? Wenn Sie zum Beispiel jetzt monatlich 100 Euro in unseren Rendite-Optimix-Fonds investieren, können Sie sich in 30 Jahren …“

„Da bin ich ja schon längst unter der Erde! Aber wenn wir schon beim Thema sind – haben Sie schon einmal über eine Lebensversicherung nachgedacht? Und wie sieht es mit der Versorgung der Hinterbliebenen aus, wenn Ihnen da mal so ein Windrad aus Ihrem Windkraftpark auf den Kopf fällt? Ich hätte Ihnen da ein Angebot zu machen. Die Sicurvita-Versicherungsgruppe zählt zu den leistungsstärksten der Branche. Unsere Bewertungen in Finanztest sind stets sehr gut.“

„Nein danke. Versicherungsmäßig bin ich schon gut versorgt.“

„Auch gegen Berufsunfähigkeit? Was ist, wenn Ihnen mal dauerhaft die Stimme wegbleibt und Sie nichts mehr telefonisch verhökern können? Schon mal darüber nachgedacht? Da hilft Ihnen die Zusatzrente aus der Sicurvita-Berufsunfähigkeitsversicherung, über die Runden zu kommen. Wenn ich Ihnen das kurz mal ausrechnen darf – wie alt sind Sie, Herr Pohl?“

„38, aber das tut hier nichts zur Sache, ich habe überhaupt keinen Bedarf an Versicherungen.“

„38, das beste Alter, um noch ohne Gesundheitsprüfung zu einem günstigen Tarif einzusteigen. Dürfte ich mal bei Ihnen persönlich vorbeischauen, dann können wir das in aller Ruhe in einem Gespräch klären.“

Pohl, sichtlich verärgert: „Ich verzichte auf Ihren Besuch.“

„Herr Pohl, Sie machen da einen Fehler! Meine Schwiegermutter, Sie wissen schon, die wir morgen in Miesbach besuchen, ohne ihre Sicurvita-Police würde Sie jetzt schon …“

„Auf Wiederhören!“

Pohl legt auf.

„Na dann eben nicht …

Berger legt ebenfalls auf. Er ist sehr zufrieden.

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RÜDIGER KIND