Nahostkonflikt am Kaffeetisch

KONFRONTATION Was passiert, wenn im Fachwerk-Dorf eine israelische Familie einzieht? Sarah Diehl dekliniert es durch – und liest jetzt aus ihrem Roman „Eskimo Limon 9“

VON ALEXANDER DIEHL

Am Anfang war die Irritation: Die eigene Unsicherheit, erzählte Sarah Diehl mal dem Missy Magazine, habe sie zu ihrem ersten Roman gebracht: die Unsicherheit, wie mit israelischen oder auch nur jüdischen Bekannten umzugehen sei, so als Deutsche.

Denn, klar: Es herrscht ein besonderes Verhältnis zwischen den Nachfahren jener Deutschen, die sich einst ihrer jüdischen Mitdeutschen zu entledigen suchten und, wiederum, den Nachkommen, also: den Kindern und Enkeln und, zunehmend, Großenkeln derjenigen, die der Vernichtung knapp entkamen (oder manchmal auch gar nicht). Und von dieser Besonderheit handelt der Roman „Eskimo Limon 9“, aus dem die Berliner Kulturwissenschaftlerin und Dokumentarfilmerin jetzt auf Einladung der „Untüchtigen“ im Golem liest.

Bei Begegnungen mit Israelis, in Berlin während des Studiums, sei ihr klar geworden: So viel die Deutschen wissen mögen über ihre Geschichte – nicht zu verwechseln damit, es könnte je genug sein oder gar zu viel –, so wenig wissen sie, was jüdisches Leben heutzutage ist. Ein Symbol für diese Unschärfe findet sich schon im Titel des Buches: „Eskimo Limon“ hieß, nach einer israelischen Eissorte, die Reihe ab 1978 gedrehter Soft-Sex-Filme, hierzulande als „Eis am Stiel“ bekannt. Ein Erzeugnis israelischer Popkultur also, das mit Auschwitz nichts zu tun hatte und auch nicht mit den Arabern – ob deshalb so viele unter den deutschen Zuschauern hartnäckig dachten, Benny, Johnny und Momo erlebten ihre burlesken Adoleszenz-Abenteuer an italienischen Mittelmeerstränden, nicht an denen Tel Avivs?

Ihr Roman reflektiere „das lückenhafte Wissen der Deutschen über das imaginierte Jüdische, das normalerweise als reine Symbolik versteinert bleibt, eben versteinert als Ruinen der Synagogen oder Gedenktafeln an Häusern“: So schreibt es Sarah Diehl in ihrem Beitrag zu „Was hat der Holocaust mit mir zu tun?“, einem soeben erschienenen Sammelband, der diese Frage in 37 Beiträgen zu beantworten sucht.

Und: „Die demografische Situation und Aufarbeitungsstrategien in Deutschland führen immer noch dazu, dass Deutsche mehr über Judenvernichtung wissen als über Juden und keine Vorstellung von der Individualität und Komplexität der Menschen mit israelischer Familiengeschichte haben.“ Hinzufügen ließe sich wohl, dass kaum einen Deutschen die eigene Unwissenheit je daran gehindert hätte, eine möglichst fest gefügte Meinung zu haben: zu Palästina zum Beispiel.

Weil sich den Dingen nur auf den Grund gehen lasse, indem man „mit seiner eigenen Projektion und Unwissenheit ehrlich umgeht“, hat Diehl, Jahrgang 1978, daraus eine Art Versuchsaufbau gemacht: Ausgerechnet in die hessische Provinz versetzt sie Familie Allon aus Tel Aviv. Vater Chen hat einen Job im nahen Frankfurt angenommen, Sohn Eran, 11, kommt auf die örtliche Schule, und Mutter Ziggy, nun, durch ihre Augen wird die Geschichte wesentlich erzählt. Durchaus gelangweilt vom neuen Dasein, freundet sie sich mit dem Dorf-Linken an, der sich freut, wenn mal Ausländer in den Ort kommen – der in seinen Bücherregalen aber die israelischen Autoren auch durchweg unter „2. Weltkrieg“ einsortiert.

Weder dieser Zausel namens Koffel noch Erans Lehrer, Herr Renner, dienen der Autorin dabei als billige Schießbudenfiguren. Sie stehen aber für bestimmte Weisen des Umgangs mit Wiedergekehrtem: Denn das Örtchen mit historischem Fachwerk und pflegeleichtem Beton und der schmucken Kirche mittendrin – es wird ja erstmals seit dem Krieg wieder mit jüdischem Leben konfrontiert.

Vom auf den letzten Drücker übertünchten Hakenkreuz-Graffito bis zum linkischen Umgang mit religiösen Fragen: Was sich aus diesem Zusammentreffen ergibt, dekliniert Diehl gelegentlich berechenbar, dann wieder erkenntnisfunkensprühend komisch durch. Der Rezensent der Jüdischen Allgemeinen, Fabian Wolff, bezeichnete den von Popkultur durchdrungenen Roman anerkennend als eine der seltenen Ausnahmen in der Beschäftigung nicht-jüdischer deutscher Autoren mit dem Jüdischen – indem er eben keine „arrogante anthropologische Studie der Spezies Homo israelicus“ sei.

■ Lesung: So, 16. Februar, 20 Uhr, Golem ■ Sarah Diehl: „Eskimo Limon 9“, Atrium-Verlag 2012, 320 S., 19,95 Euro