Im stillen 6. Jahr

Die Euphorie der Gründerjahre ist vorbei. Attac ist in der Normalität angekommen

AUS KARLSRUHE FELIX LEE

Fünf bis sechs Jahre – länger hat es die 68er-APO nicht gegeben. Die Zeit der Friedensbewegung in den 80er-Jahren dauerte auch nicht länger. Es käme also nicht überraschend, wenn im Jahre sechs nach der Gründung Attac am bröckeln ist. Die globalisierungskritische Bewegung wäre nicht die Erste, die nach nur wenigen Jahren wieder von der Bildfläche verschwindet.

„Es stimmt, wir hatten schon dynamischere Zeiten“, gesteht Attac-Mitbegründer Sven Giegold auf der Sommerakademie in Karlsruhe. Doch die Probleme der Globalisierung seien noch lange nicht gelöst. So lange werde es auch die globalisierungskritische Bewegung geben. Politisch argumentiert, mag er Recht haben. Doch eine soziale Bewegung gehorcht anderen Regeln.

Zu große Themenpalette

Während in den Anfangsjahren Attac mit Themen wie Finanzmärkte, Steuerflucht und Welthandel die Gemüter weit über das linksalternative Milieu hinaus bewegte, ist es im vergangenen Jahr auffällig still geworden um die Globalisierungskritiker. „Die Bewegung ist erlahmt“, sagt Dieter Rucht, Bewegungsforscher am Wissenschaftszentrum Berlin. Er sieht die Ursachen in der zu großen Themenpalette. Je mehr Mitglieder das Netzwerk hinzubekam, desto stärker beschäftigte sich Attac mit Bereichen, die nicht mehr klassisch „globalisierungskritisch“ waren. Themen wie Gesundheitspolitik und Hartz IV hätten dem Profil geschadet, sagt Rucht. „Getragen von der Anfangseuphorie hat Attac den Fehler gemacht, sich in alles Mögliche einzumischen. Jetzt kommt die Normalität.“

Noch immer wächst Attac. Wöchentlich kämen etwa 10 Mitglieder dazu, sagt David Firle. Der 24-Jährige ist seit einem knappen Jahr dabei und arbeitet für das Bundesbüro in Frankfurt am Main, das 2002 ursprünglich dafür eingesetzt wurde, vor allem verwaltungstechnische und organisatorische Arbeiten zu leisten. Das seien zwar nicht mehr die wöchentlichen 300 wie vor drei Jahren. „Aber immerhin.“

Wer die Gruppen vor Ort fragt, hört andere Stimmen: „Ein Viertel der Regionalgruppen gibt es quasi nicht mehr“, berichtet ein Aktivist aus Braunschweig. Aus anderen Städten wird erzählt, dass die wöchentlichen Treffen gerade noch von drei Personen besucht werden. „Wir hatten Zeiten, da kamen 80 neue Interessierte zum Berliner Vernetzungstreffen, berichtet Jakob Huber aus Berlin. „Diese Zeiten sind leider vorbei.“

Dramatisch sieht es auch in den bundesweiten Gremien aus. Die Mitglieder des Koordinierungskreises, des höchsten Entscheidungsorgans von Attac, sind untereinander teils zerstritten. Von einst rund 20 Mitgliedern kandidierten bei den letzten Wahlen nur noch 14. Und auch die bundesweit thematisch arbeitenden Arbeitskreise seien nur noch „zum Teil aktionsfähig“, sagt eine Aktivistin. „Es findet sich kaum jemand mehr, der Aufgaben übernehmen will. Die Stimmung ist mies.“

Je weniger ehrenamtliches Engagement von der Basis kommt, desto mehr Aufgaben übernimmt das Bundesbüro in Frankfurt am Main. Inzwischen ist das Team von einst acht auf 15 Personen gewachsen und hat jüngst fünf zusätzliche Mitarbeiter eingestellt, die von Berlin aus die Webseiten von Attac betreuen. Kritik daran bleibt nicht aus. Schon zu oft und zu weit hat sich die Geschäftsführerin aus Sicht von einigen Leuten an der Basis mit politischen Äußerungen aus dem Fenster gelehnt. Sie sehen darin Tendenzen zur „Greenpeacisierung“, die das basisdemokratische Netzwerk eigentlich stets vermeiden wollte.

Die Gründe, warum es in diesem Jahr eher ruhiger um das Netzwerk ist, seien rein deutsche, meint Attac-Aktivist Sven Giegold. Anders als in Frankreich oder Italien, wo die Menschen sofort demonstrierten, sobald sie etwas empört, sei Deutschland ein „Verbändestaat“. „Die Leute gehen dann massiv auf die Straße, wenn die Verbände dazu aufrufen.“ Der Kuschelkurs der Gewerkschaften gegenüber Angela Merkel habe dazu geführt, dass es bisher kaum noch Akteure gebe, die zu Sozialprotesten aufriefen. Zur sozialen Frage habe Attac allein noch nie die Massen mobilisiert.

Hoffen auf Heiligendamm

Bewegungsforscher Rucht spricht von einem „Bröckeln in der medialen Wahrnehmung“. Dies liege in der Natur der Berichterstattung. Vor fünf Jahren waren die Themen neu, die von Attac angesprochen wurden. Nun habe keiner Lust, die Argumente aufs Neue herunterzuleiern. Während Attac in der Anfangszeit über ihren realen Gehalt überhöht wurde, finde nun ein Kleinermachen statt, sagt Rucht. „Beides ist überzogen.“ Ähnlich beurteilt es Felix Kolb, der im niedersächsischen Verden für die Bewegungsstiftung arbeitet. „Die Erwartung, dass eine Bewegung medial ständig Präsenz zeigt, ist absurd“, sagt der 33-Jährige. In jeder Bewegung gebe es Hoch- und Tiefphasen. Globalisierungskritik sei in den vergangenen anderthalb Jahren nicht das bestimmende Thema gewesen. Kolb: „Ich bin mir aber sicher, dass der G-8-Gipfel nächstes Jahr in Heiligendamm Attac wieder zu neuem Aufschwung verhelfen wird.“