Syrien ist nur der Juniorpartner

Politische Beobachter in Damaskus sind der Ansicht, dass Präsident Assad nicht stark genug sei, um Druck auf Hamas und Hisbollah auszuüben

„Deutschland genießt bei allen Akteuren Glaubwürdigkeit“, sagt Politologe Kabalan

AUS DAMASKUS KRISTIN HELBERG

Im syrischen Außenministerium herrscht in diesen Tagen angespannte Hektik. Den dunklen Autos, die vor dem unscheinbaren mehrstöckigen Gebäude oberhalb der US-Botschaft halten, entsteigen neben den arabischen Politikern auch Europäer. Nach fast zwei Jahren, in denen der Westen Syrien mit Nichtachtung strafte, zeigt der Westen wieder Interesse an Syriens sozialistischem Baathregime. Ihre Hoffnung: Damaskus könne in der aktuellen Krise eine konstruktive Rolle spielen.

Je länger die Kämpfe im Libanon und in Gaza anhalten, desto offensichtlicher wird, dass Hisbollah und Hamas militärisch nicht zu besiegen sind. Ohne die Beteiligung der beiden Milizen aber wird es keine dauerhafte Lösung des Nahostkonflikts geben – diese Erkenntnis setzt sich zunehmend auch in europäischen Diplomatenkreisen durch.

Wer aber soll mit den Islamisten reden? Israel und die USA betrachten sie als Terrorbanden und lehnen direkte Verhandlungen kategorisch ab. Gefragt sind deshalb Zwischenhändler, die gute Kontakte zu Hisbollah und Hamas unterhalten – allen voran die syrische Regierung. Damaskus gewährt Hamas-Vertretern seit Jahren Unterschlupf und ist neben dem Iran der wichtigste Verbündete der Hisbollah. Wer Syrien als Vermittler gewinnen will, muss jedoch die Rolle des Landes in dem jahrzehntealten Konflikt verstehen.

Das syrische Baathregime hat im Gegensatz zum Iran kein ideologisches, sondern ein praktisches Problem mit Israel: die Golanhöhen, ein wegen seiner Wasservorkommen und strategischen Lage wichtiges Gebiet, das Syrien gehört und von Israel besetzt ist. „Acht Kilometer außerhalb von Damaskus sind die israelischen Stellungen mit bloßem Auge zu erkennen“, erklärt Samir al-Taki, ein Berater des Außenministeriums. Taktisch sei Damaskus eine gefallene Hauptstadt. Verhandlungen über eine Rückgabe der Region gemäß UNO-Resolutionen 242 und 334 scheiterten zuletzt im Jahr 2000, seitdem interessierte sich im Westen niemand mehr für den Golan. Während Syrien im Zuge des Irakkrieges und der Ereignisse im Libanon unter starken internationalen Druck geriet, sicherte sich Israel die rückhaltlose Unterstützung der USA. Umso wichtiger ist aus syrischer Sicht der anhaltende Widerstand – erst recht, wenn er praktischerweise nicht vor der eigenen Haustür, sondern in Gaza und im Südlibanon stattfindet. Der Kampf der Hamas und der Hisbollah dient folglich auch syrischen Interessen. Die Vorstellung, Palästinenser und Libanesen könnten Frieden mit Israel schließen, ohne dass Syrien seinen Golan zurückbekommt, ist für Damaskus ein Albtraum.

Die politischen und militärischen Erfolge der beiden Gruppen – der Wahlsieg der Hamas in Palästina und der von der Hisbollah im Jahr 2000 gefeierte israelische Truppenabzug aus Südlibanon – machen sie jedoch immer unabhängiger. „Die Hisbollah ist eine libanesische Kraft“, sagt Berater Samir al-Taki. Ihre Strategien würden von libanesischen Interessen bestimmt, nicht von Syriens Präsident Baschar al-Assad. Hisbollahführer Hassan Nasrallah und Hamas-Politbürochef Chaled Meschal seien keine Marionetten in den Händen der Syrer, sondern gleichwertige Verbündete. Im Gegensatz zu seinem Vater Hafis al-Assad erscheint der 40-jährige Baschar in dem Trio so eher als Juniorpartner – nicht nur wegen seines Alters.

„Damaskus kann keinen Druck auf Hisbollah und Hamas ausüben“, sagt Politikberater al-Taki. Aber sobald die internationale Gemeinschaft das eigentliche Problem angehe, die israelische Besatzung, gebe es keinen Grund mehr für Gewalt gegen Israel.

Das Trio Baschar al-Assad, Hassan Nasrallah und Chaled Mashaal hat legitime Forderungen: Die Hamas will einen Palästinenserstaat in den Grenzen von 1967, die Hisbollah ihre Gefangenen sowie den Abzug der israelischen Armee aus den Schebaafarmen und Syrien seinen Golan. Der Iran ist dabei eine willkommene Verstärkung, hat aber mit dem Konflikt territorial nichts zu tun – die Vorstellung von Präsident Ahmadinedschad, das „zionistische Gebilde“ von der Landkarte zu tilgen, ist im Nahen Osten längst der Einsicht gewichen, mit Israel als Nachbar in den Grenzen von 1967 zusammenleben zu müssen.

Was Israelis und US-Amerikaner nicht wahrnehmen wollen, ist die Tatsache, dass sich auch Hamas und Hisbollah ideologisch bewegt haben. Hamas-Vertreter erklären sich inzwischen zu einem langfristigen Waffenstillstand bereit, sollte Israel sich aus dem Westjordanland und Gaza zurückziehen. Die Hisbollah gibt sich als libanesische Organisation und wird sich auf ihre Rolle als politische Partei beschränken, sobald ihre den Libanon betreffenden Forderungen erfüllt sind und die reguläre Armee mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft stark genug ist, das Land zu beschützen.

Erste Voraussetzung für eine Lösung des Konflikts sei deshalb ein Umdenken in Washington, so al-Taki. Das Nullsummenspiel der Israelis und Amerikaner, wonach im Nahen Osten alles so laufen sollte, wie sie es wollen, gehe nicht auf, meint der Stratege. „Wir müssen zurückkehren zu einer Lösung, die alle Interessen berücksichtigt.“ Es sei eine Illusion zu glauben, Israel könne in Frieden leben ohne Frieden zu schließen, indem es einseitig Grenzen ziehe und sich mit Mauern und Zäunen umgebe. Sicherheit für Israels Bürger sei vielmehr die logische Folge einer Einigung mit allen Konfliktparteien.

Wer kann eine solche diplomatische Lösung herbeiführen? Aus syrischer Sicht nur die Amerikaner, meint Politikwissenschaftler Marwan Kabalan. Für die Rückgabe des Golans brauche es Druck der USA auf Israel, außerdem müsse Washington aufhören, den syrischen Machthabern mit Regimewechsel zu drohen und stattdessen ihre regionale Bedeutung anerkennen. „Ohne entsprechende Garantien wird sich Damaskus auf keinen Deal einlassen“, so der Politologe.

Das Angebot des deutschen Außenministers Frank Walter Steinmeier, die Europäer könnten Syrien wirtschaftlich unterstützen und das auf Eis liegende Assoziierungsabkommen unterzeichnen, reiche nicht aus. Grundsätzlich hält Kabalan die Deutschen für geeignete Vermittler in dem Konflikt. Deutschland genieße bei allen Akteuren Glaubwürdigkeit, so der Politikwissenschaftler, in Israel, bei der Hisbollah, in der arabischen Welt und im Iran.

Die Zeit für eine diplomatische Lösung sei knapp, warnt der Syrer. Kriege folgten einer eigenen Dynamik, jeder kleine Fehler könne einen Flächenbrand auslösen. Angesichts des massiven Einsatzes von Bodentruppen im Libanon fürchtet Damaskus, Israel wolle das syrisch-libanesische Grenzgebiet unter seine Kontrolle bringen. Eine Provokation für Syrien, erklärt Berater al-Taki, denn dann könnte die israelische Armee innerhalb von Stunden Damaskus besetzen oder die Lebensader des Landes, die Nord-Süd-Verbindung zwischen Aleppo und Damaskus, lahmlegen.

Die Entscheidung über Krieg und Frieden liege allein bei Israel, meint Marwan Kabalan. Sollte Israel Syrien angreifen, bliebe Damaskus nichts anderes übrig, als zurückzuschlagen. Wäre Israel dagegen bereit, zu verhandeln, würde Syrien lieber heute als morgen an einer Lösung des Konflikts mitarbeiten. Hamas, Hisbollah und das syrische Regime sollten als Gesprächspartner akzeptiert werden, fordert der Politologe. Sie alle wollten reden – nur Israel nicht.