DIE EINE FRAGE
: Ist Maischberger schuld?

EINE SCHANDE: IN DEUTSCHEN SCHULEN GIBT ES KAUM OFFEN NICHT-HETEROSEXUELLE LEHRER UND SCHÜLER

Bei Sandra Maischberger droht immer irgendwas, klar. Wenn nichts drohte, schaute auch kein Mensch Maischberger. Mal droht angeblich die Ökodiktatur, in dieser Woche drohte angeblich die moralische Umerziehung.

Abgesehen davon, dass auch andere Medien auf Bedrohungen spezialisiert sind (Super-GAU, Nazis, Brüderle): Wer öffentlich-rechtliches Fernsehen therapieren will, braucht vielleicht selbst eine Therapie.

Woher rührt die mediale Aufregung über die Maischberger-Talkshow zum grün-roten Bildungsplan in Baden-Württemberg, der die fächerübergreifende Akzeptanz menschlicher Lebenswirklichkeiten („sexuelle Vielfalt“) beinhaltet? Teile der umstrittenen Online-Petition gegen Antidiskriminierung sind in der Tat als homophob zu verstehen. Aber kann man ernsthaft fordern, dass Hartmut Steeb als Vertreter der Evangelischen Kirche nicht in Talkshows darf, weil sein Menschenbild nicht linksliberalen Kriterien entspricht? Für mich ist es wichtig, zu wissen, wie diese Kirche tickt, gerade wenn ich es mit Irritation zur Kenntnis nehmen muss.

Unter uns demokratischen Pastorentöchtern: Selbstverständlich muss Maischberger Menschen mit konträren Positionen einladen, sonst wäre sie ja die „Aktuelle Kamera“. Und Talkshow-Luden gibt es gerade auch in den wichtigsten Geschäftsbereichen der Political Correctness. Interessant ist aber, dass die, die den anderen vorwerfen, dass sie etwas nicht akzeptieren, sich so verdammt schwer tun, die anderen auch nur zu tolerieren. Wenn der Herr Steeb froh ist, dass keines seiner zehn Kinder homosexuell ist, dann ist das bei ihm so. Und statistisch eher unwahrscheinlich. Wenn er den traditionellen Status quo der Diskriminierung aufrechterhalten will, so muss man diese Position aushalten. Und aktiv dafür sorgen, dass er sich damit nicht durchsetzt. Das entscheidende Problem in Baden-Württemberg und dem Rest der Republik ist nicht Maischberger. Und auch nicht, dass es Leute wie Steeb gibt. Das Problem ist, dass in deutschen Schulen viel zu wenig nichtheterosexuelle Lehrer und Schüler sichtbar sind. Weshalb sexuelle Vielfalt eben nicht Normalität ist, wie permanent insinuiert wird. Normalität ist, dass darüber nicht oder nicht vernünftig gesprochen wird. Wie auch über Fleisch. Sex. Das Klimaproblem. Maischberger bildet diese dysfunktionale Normalität ab.

Die ändert man aber nicht – solange wir nicht von Stalin regiert werden –, indem man sich so geriert, als gehöre ein Mensch mit abweichender Meinung in ein Umerziehungslager.

Die Gefahr ist, dass eine Debatte über eine unkorrekt debattierende Talkshow letztlich auch nur (Meta-)Unterhaltung von uns journalistischen Fernsehparasiten ist, die wir Maischbergers Volksbelustigung oder Volksaufklärung transformieren in Moralkonsum für die gebildeten Stände. Der neue Lehrplan kann eine Veränderung unterstützen, wie auch eine öffentliche Diskussion helfen kann, auch die bei Sandra Maischberger. Aber letztlich müssen die Eltern ihren Moralkonsum unterbrechen, aufstehen, in die Schule gehen und dafür sorgen, dass nichtheterosexuelle Lehrer und Schüler dort zum Alltag gehören können. Dass das nicht längst so ist, ist eine Schande – und zwar eine linksliberale.

Peter Unfried ist taz-Chefreporter