„Interkulturelles Lernen wurde verschlafen“

Wer die Muttersprache kann, spricht besser Deutsch, sagt die Bildungskoordinatorin Manuela Scharfenberg

taz: Frau Scharfenberg, seit heute hat NRW ein deutsch-türkisches Internat mit dem erklärten Ziel, Einwanderer besser zu integrieren. Kann eine solche Schule das besser?

Manuela Scharfenberg: Wenn die Mehrsprachigkeit konsequent durchgezogen wird, ist so eine zweisprachige Schule eine richtig gute Sache. Wichtig ist, dass die Schülerschaft sprachlich gemischt ist. Auch deutsche Schülerinnen und Schüler oder Kinder aus anderen Länder als der Türkei sollten Zugang zu der Schule haben, damit die Lerngruppen nicht zu homogen sind. An und für sich profitieren Schüler mit Migrationshintergrund immer stark davon, wenn ihre muttersprachliche Kompetenz gefördert wird. Dadurch wird die beste Basis gelegt, um perfekt Deutsch zu lernen.

Warum gibt es dann nicht ganz viele solcher Schulen?

Im kleineren Maßstab gibt es einiges an bilingualer Förderung in NRW, dadurch dass an vielen Schulen Muttersprachler Ergänzungsunterricht anbieten. Und an einigen Schulen im Ruhrgebiet werden Türkisch und Russisch auch als reguläre Fremdsprachen angeboten, in denen die Schülerinnen und Schüler einen Abschluss erreichen können. Diese Absolventen sind in der Wirtschaft auch sehr begehrt. Im Grunde gilt jedoch, diese Förderung nicht Ersatzschulen zu überlassen sondern diese Konzeptionen an öffentlichen Schulen zu verankern.

In den Pisa-Studien steht NRW aber in Punkto Chancengleichheit von migrantischen und deutschen Kinder sehr schlecht da.

Die Probleme von Kindern mit Migrationshintergrund wurden sehr lange falsch eingeschätzt. Manche sind jetzt erst auf den richtigen Weg gekommen. Als Pädagogin glaube ich, dass es nie zu spät ist, um mit etwas anzufangen – ich bin deshalb optimistisch, dass sich die Bildungssituation der Migrantenkinder verbessern wird.

Dadurch, dass sie ihre Muttersprache besser lernen?

Einige der türkischen Kinder und Jugendlichen der dritten Generation haben Türkisch nur mündlich von ihren Eltern gelernt. Zum Sprachenlernen gehört aber auch ganz entscheidend die Literalität, das heißt das Heranführen an die Schriftkultur: Am besten ist es, wenn Eltern schon im Kleinkindalter Bilderbücher zeigen und vorlesen – von mir aus auch in der Muttersprache. Wenn die Kinder Türkisch nur in gesprochener Form kennen, fällt es ihnen viel schwerer, die deutsche Sprache so zu erfassen und zu verarbeiten, wie es in der Schule gefordert wird. So entstehen Halbsprachigkeiten, die den Kindern ihre ganze Schullaufbahn lang und später auch im Beruf schaden.

Ein Internat richtet sich eher an Besserverdienende...

Die Schule kann trotzdem Modellcharakter haben und Eltern deutlich machen, wie wichtig die ausgewogene Zweisprachigkeit ist. Das Entscheidende, was das staatliche Schulsystem leisten muss, ist: Die Eltern müssen mit an einen Tisch. Das ist in NRW auf einem guten Weg, nur ist der Umgang auf Augenhöhe noch nicht überall zu finden. Aber das kommt bestimmt.

INTERVIEW: MIRIAM BUNJES