AUF DER LANGSTRASSE MACHEN TWENTYSOMETHINGS DEN HUREN DAS LEBEN SCHWER
: Die Provinz ist da, wo wir sind

VON ULRICH GUTMAIR

Wenn man am Freitagnachmittag durchs Viertel geht, herrscht Ruhe auf der Gass. Die Kreativen sitzen in ihren Ladenbüros und Erdgeschossen. Nur ein paar gar nicht mehr so junge Männer fahren mit dem Fahrrad herum. Selbstverständlich sitzen sie nicht auf irgendwelchen Rädern, sondern auf minimalistischen Gefährten mit superschmalen Lenkern. Sie sind wohl custom made, wie man heute so sagt. Fixies sind die neueste Radmode für Jungs und Stenze, bei denen der Zahnkranz des Hinterrads direkt mit der Nabe verbunden ist. Wo Fixies sind, da wird avantgardistisch konsumiert.

Auch vor dem Café Z geht es gemütlich zu. Vor der Tür unterhält man sich. Ein Vater genießt die Ruhe, sein Kind schläft wohl im Kinderwagen, den er neben sich platziert hat. Die Sonne scheint. Der Rüeblikuchen ist lecker. Der Espresso mundet. Und da kommt ja auch schon MT Dancefloor um die Ecke gebogen, die textende und singende Hälfte der großen Elektropunkcombo Saalschutz. Er wohnt hier, er kennt sich aus.

Albisrieden ist eine aufstrebende Gegend, sagt MT Dancefloor. Noch geht es hier nicht so wild zu wie im Kreis vier oder fünf, in Innenstadtnähe, südlich der Limmat. Noch kann man die Mieten bezahlen. Albisrieden wurde 1934 eingemeindet, heute zählt es 17.000 Einwohner. Und wie eine industriell geprägte Kleinstadt sieht das Viertel am Fuß des Uetlibergs irgendwie immer noch aus.

In Little Big City

Aber eben auch hier, im beschaulichen „Dorf“, wie die Einwohner es nennen, wird über Gentrifizierung gesprochen. Erstens gibt es hier weniger Ausweichmöglichkeiten als in Berlin, sagt MT Dancefloor. Und zweitens ist eine krasse Vormachtstellung der Hausbesitzer zu beklagen. Leerstand gibt es inzwischen quasi nicht mehr. Was nicht heißt, dass es in der Stadt auch keine besetzten Häuser und keine Clubs ohne Schanklizenz mehr gäbe.

Die Notwendigkeit Letzterer hat allerdings abgenommen, seit die Stadt den Wirten ihre ständischen Privilegien abgesprochen hat. Jetzt braucht es kein Wirtepatent mehr, um eine Kneipe aufmachen zu dürfen. Und so sprießen im benachbarten Langstrassenquartier, dem hiesigen Kreuzkölln, die Kneipen wie Pilze aus dem Boden. Noch vor zehn Jahren gab es hier nur Bordelle, Animierbars, runtergekommene Beizen und eine linke Kneipe. Heute machen des Nachts feiernde, hysterische Teens und Twentysomethings den Huren das Geschäft kaputt. Die stehen einigermaßen fassungslos auf der Straße, wenn vor dem Revier Club die jungen Leute in Trauben herumlungern.

Was in Kreuzkölln die Amerikaner sind, sind hier die Düütsche. In jeder Bar steht ein „Volksdeutscher“ hinterm Tresen, wie ein ebensolcher grinsend an unserem Tisch bemerkt. Die Stadt hatte vor ein paar Jahren Humor bewiesen: „Little Big City“ als offiziellen Tourismusslogan einzuführen, das zeugte von Größe. Dass es dann aber wieder ein Deutscher war, der den Song dazu schrieb, spricht für sich. „Little Big City, ain’t no dream, ahaha. Little Big City, I have to scream, ahaha“, singt Knarf Rellöm im Refrain. Inzwischen haben sie den Claim geändert. Jetzt wirbt die Stadt damit, „Downtown Switzerland“ zu sein. Dass Zürich selber die Provinz ist, kapieren diese Leute nicht, meint MT Dancefloor. Wer will da Steine werfen. Das kennen wir Berliner ja besser als sonst wer.

Zürich ist also tatsächlich ganz wie zuhaus. Ein bisschen kleiner vielleicht, ein bisschen ruhiger nur. Die Tresore sind voller Diktatorengold und die Kreditkarten immer gedeckt. Aber sonst? „Everybody’s going shopping“, heißt es bei Knarf Rellöm. Und dann braucht er bloß noch aufzuzählen, wo die Leute Shoppen gehen, damit alle wissen, dass Shoppengehen, hier wie dort, für alle alles ist: Am Limmatplatz. In der Langstraße. Am Bellevue. In der Ankerstraße. Am Zentral. In der Torstraße. In der Friedrichstraße. Am Leopoldplatz. Das hat der Knarf womöglich besser getroffen, als er dachte. Provinz, das ist der Ort, wo man meint, dass es das wahre Leben zwar nicht in der Boutique gibt, woanders aber schon.