Wettrennen zum Litani

Israel erwägt Errichtung einer Pufferzone – zu spät, sagt Uri Sagi. Der Exmilitär kritisiert „systemloses“ Vorgehen der israelischen Truppen

JERUSALEM taz ■ Im Nahen Osten gehen Diplomatie und Armeebrigaden entgegengesetzte Wege. Einen Tag vor der heute erwarteten Abstimmung über die UN-Resolution zur Befriedung der Region beginnen israelische Soldaten und Hisbollah-Kämpfer mit dem Endspurt. Die Luftwaffe flog mehr als 80 Angriffe, umgekehrt schickten die schiitischen Extremisten seit Montagabend nahezu 150 Raketen auf Israel. Die beiden Kriegsgegner hoffen offenbar darauf, dadurch ihre Position für die Waffenstillstandsverhandlungen zu stärken.

Auch innerhalb der israelischen Regierung weht der Wind von zwei Seiten. Während Premierminister Ehud Olmert die von der libanesischen Regierung einstimmig verabschiedete Verlegung von 15.000 Soldaten in den Südlibanon als „interessanten Vorschlag“ zunächst prüfen möchte, hält der Abgeordnete Sachi Hanegbi (Kadima) nichts davon. Hier ginge es um eine „virtuelle Armee“, die noch nie vor die Prüfung eines echten Konfliktes gestellt worden sei.

Olmert bleibt dabei: „Je schneller wir den Südlibanon verlassen können, desto glücklicher werden wir sein, vor allem, wenn wir unsere Ziele erreicht haben.“ Ungeachtet seiner demonstrierten Offenheit für den libanesischen Vorschlag, erwägt er zusammen mit Verteidigungsminister Amir Peretz die Errichtung einer militärischen Pufferzone bis zum libanesischen Fluss Litani, der streckenweise bis zu 20 Kilometer nördlich der israelischen Grenze verläuft. „Das Wettrennen zum Litani hat begonnen“, schrieb die israelische Tageszeitung Ma’ariw gestern. Noch nicht ganz, denn während in Beirut erst die Reservisten mobilisiert werden, steht in Jerusalem die Entscheidung des Kabinetts noch aus.

„Egal, welche Armee zuerst am Litani ist, sie kommt drei Wochen zu spät“, meint der ehemalige Chef des militärischen Nachrichtendienstes, Uri Sagi. Der Raketenbeschuss könne allein durch eine Pufferzone längst nicht mehr aufgehalten werden. Zumindest ein Teil der zentralen Abschussbasen liege nördlich des Flusses.

Sagi kritisiert, dass die israelische Regierung ihr ursprüngliches Ziel der Libanonoffensive aus den Augen verliere. Vor vier Wochen war „von einer Stationierung internationaler Truppen im Grenzbereich, von der Auflösung oder zumindest einer Entwaffnung der Hisbollah und der Befreiung der beiden entführten Soldaten die Rede“, erinnert der frühere Militärgeheimdienstler. „Ein Vorstoß zum Litani bringt uns in keinem der drei Punkte voran.“

Militärstrategisch hätte „uns eine Säuberung des südlichen Grenzgebieten einen Vorteil bringen können“, glaubt Sagi, der das „systemlose“ Vorgehen der Bodentruppen nicht nachvollziehen kann. Der Regierung rät der heutige Zivilist, nicht zu eilig Vorschläge abzuweisen, sondern „ein bis zwei Tage abzuwarten, um dann zu sehen, was die libanesische Regierung genau vorhat“.

Eins der Ausgangsziele der israelischen Offensive war die Stationierung libanesischer Truppen im Grenzgebiet. Damit allein wird sich die Regierung in Jerusalem inzwischen nicht mehr zufriedengeben. Um die Waffen ruhen zu lassen, fordert Verteidigungsminister Peretz zuallererst die Freigabe der beiden vor vier Wochen von der Hisbollah entführten Soldaten. Die schiitischen Extremisten sind dazu grundsätzlich bereit, allerdings nur im Rahmen einer umfassenden Regelung.

Exgeheimdienstler Sagi, der vor sechs Jahren israelischer Delegationsleiter bei den Friedensgesprächen mit Syrien war, hofft auf eine breiter angelegte Friedenslösung, die Syrien ausdrücklich einbezieht. Israel müsse über eine Strategie entscheiden. „Ist die Strategie nur die Taktik des Krieges im Libanon, dann wird mit diesem Krieg schon der nächste vorprogrammiert“, prophezeit Sagi. Um die Region langfristig zu beruhigen, müsse Israel erneut Verhandlungen mit Syrien aufnehmen.

SUSANNE KNAUL