Schulen am Existenzminimum

NRW-Schulen verlieren in den nächsten Jahren tausende SchülerInnen. Welche von ihnen schließen müssen, ist noch weitgehend unklar. NRW-Bildungsministerium befürwortet Verbünde

von MORITZ SCHRÖDER

Neubaugebiete und weitere Bürojobs haben nichts genützt. Gelsenkirchen hat zu wenige Eltern, die die 50 Grundschulen der Stadt mit Nachwuchs füllen. In fünf bis sechs Jahren wird es an einigen Grundschulen der Revierstadt kaum noch SchülerInnen geben. „Wenn in nächster Zeit nichts Außergewöhnliches passiert, dann müssen wir Grundschulen schließen“, sagt Stadtsprecher Martin Schulmann.

Der Schülerverlust in Gelsenkirchen steht für den Trend im ganzen Land. Im vergangenen Schuljahr besuchten erstmals 10.000 SchülerInnen weniger als im Jahr zuvor die Schulen in Nordrhein-Westfalen – seit 1990 einmalig. Doch damit nicht genug: Bis 2020 rechnet das Landes-Schulministerium mit einem Verlust von weiteren 500.000 SchülerInnen. Andrej Priboschek, Sprecher im Schulministerium von Barbara Sommer (CDU), bestätigt zwar, dass es in Zukunft weniger Schulen gibt, „wir wollen aber möglichst viele davon erhalten“.

Durchschnittlich kommen in NRW heute 18,5 Schüler auf einen Vollzeitlehrer, mit sinkender Tendenz. Besonders auf dem Land gibt es inzwischen schlecht ausgelastete Schulen. Sie haben trotzdem eine hohe Chance, bestehen zu bleiben, weil dort auch die Schulwege der Kinder für den Erhalt berücksichtigt werden.

Doch eine Existenzberechtigung haben die Schulformen nur, wenn sie eine bestimmte Klassenzahl erreichen. Das Schulgesetz schreibt beispielsweise zwei Parallelklassen pro Jahrgang für eine Grundschule vor. Sie werden nun als erste mit den geburtenschwachen Jahrgängen konfrontiert. Um die betroffenen Schulen nicht aufgeben zu müssen, möchte das Ministerium, dass sie in Zukunft fusionieren.

Das soll durch das so genannte „Filialsystem“ funktionieren, wodurch mehrere Schulen in Verbünde zusammengeschlossen werden. Das neue Schulgesetz sieht vor, dass Grundschulen oder eine Hauptschule mit einer Real- oder Gesamtschule zusammengefasst werden können. Der Unterricht der jeweiligen Schulformen würde dann laut Ministerium zwar immer noch getrennt stattfinden, einzelne Fächer wie Sport könnten aber für alle SchülerInnen im Verbund angeboten werden. Der Spareffekt: Einzelne Schulgebäude würden überflüssig und die Verwaltung wäre günstiger, erklärt Priboschek.

Der Verband Bildung und Erziehung in NRW (VBE) befürchtet, dass vor allem Haupt- und Realschulen die zurückgehenden Schülerzahlen zu spüren bekommen werden. „Wenn weniger Kinder an die Schulen kommen, wird jede von ihnen versuchen, ihre Schüler zu halten“, sagt Christel Jungmann vom VBE in NRW. Da Real- und Hauptschulen aber auf die Schüler angewiesen sind, die vom Gymnasium wechseln, seien sie besonders von einer Schließung bedroht. Im vergangenen Schuljahr gingen 48 Prozent der Schulformwechsler von der Realschule auf die Hauptschule, informiert Jungmann.

Verbünde zu gründen sei zwar im Prinzip richtig, jedoch kritisiert Jungmann, dass dies nur zwischen den Formen Haupt-, Real- und Gesamtschule möglich sein soll. „Damit hätten wir dann die von Herrn Rüttgers geforderten Aufbauschulen“, empört sie sich. Weil die Gymnasien aus den Verbünden ausgeschlossen blieben, würden in den Aufbauschulen nur die „Profis für die Praxis“ ausgebildet. Darin sieht Jungmann das Recht auf Bildung bedroht.

Stattdessen müssten, so das VBE-Modell, auch die Gymnasien in die Verbünde mit aufgenommen werden. Damit wäre zweierlei erreicht: Die SchülerInnen blieben alle im gleichen Verbund. VBE-Mitarbeiterin Christel Jungmann sähe dadurch aber auch die Dreiteilung des Schulsystems aufgehoben und damit die Einteilung der SchülerInnen in Leistungsklassen: Eine Forderung, die der Bildungsverband VBE seit Jahren aufstellt.