Nicht nur ein Kopf soll rollen

FALL EDATHY Der Koalitionsfrieden ist dahin: CSU-Vorsitzender Horst Seehofer wirft der SPD im Allgemeinen und Thomas Oppermann im Besonderen vor, seinen Minister Hans-Peter Friedrich ans Messer geliefert zu haben

■ Der Rücktritt von Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich (CSU) wird von den Christsozialen der SPD angekreidet. Horst Seehofer sagte am Samstag auf einem kleinen Parteitag: „Friedrich hat nach besten Wissen gehandelt, und dieses ist missbraucht worden.“ An Friedrich gewandt sagte der CSU-Chef: „Du hast die Solidarität der gesamten Partei.“

■ Seehofer schimpfte über die „Geschwätzigkeit“ der SPD und forderte Aufklärung, wer wann was gesagt habe. Hans-Peter Uhl (CSU) sagte: „Es kann ja wohl nicht wahr sein, dass ein SPD-Abgeordneter mutmaßlich kinderpornografische Schriften kauft und die einzige Konsequenz darin besteht, dass ein CSU-Minister zurücktritt.“

■ Allerdings erfolgte Friedrichs Rücktritt offenbar vor allem wegen seines mangelnden Rückhalts bei Seehofer und Bundeskanzlerin Merkel (CDU): Friedrich selbst sagte dazu: „Die mangelnde Unterstützung war überall.“

■ Am Montag will Seehofer den Namen des neuen Landwirtschaftsministers nennen. (klh)

AUS BERLIN ULRICH SCHULTE

Dem CSU-Chef sind emotionale Eruptionen nicht fremd, und meist darf man sie nicht allzu ernst nehmen. Doch dieses Mal ist Horst Seehofer wirklich zornig, wenn nicht außer sich. „Hochproblematisch“ sei es, dass die SPD in der Causa Edathy die Vertraulichkeit gebrochen habe, schäumte Seehofer. Diese „Geschwätzigkeit“ sei unerklärlich und „schärfstens zurückzuweisen“.

Auf dem kleinen CSU-Parteitag in Bamberg war am Samstag nicht zu überhören, dass die allermeisten Christsozialen den Rückzug von Landwirtschaftsminister Hans-Peter Friedrich ungerecht finden. Die Bayern wollen Köpfe rollen sehen, ihr Vorsitzender vorneweg. Auch die SPD soll in dem verworrenen Fall Edathy ein Opfer bringen.

In der Tat hat die überstürzte Demission die Aufmerksamkeit von der SPD abgelenkt. Dabei wirft auch das Verhalten drei führender Sozialdemokraten Fragen auf. Schließlich steckte Friedrich im Oktober dem SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel eine Information des Bundeskriminalamtes, um Schaden von der Großen Koalition abzuwenden. Der Name Sebastian Edathy, so Friedrich damals zu Gabriel, sei bei Ermittlungen im Ausland aufgetaucht.

Ein Freundschaftsdienst. Damals verhandelten CSU, CDU und SPD in Arbeitsgruppen über die Koalition. Edathy galt als Parlamentarier mit Aufstiegschancen, er hatte sich mit der Leitung des NSU-Untersuchungsausschusses einen Namen gemacht.

Die Fragen, die wütende CSUler nun umtreiben, lauten: Warum haben Gabriel – und zwei andere Spitzengenossen – nicht dichtgehalten? Wurde Edathy durch die sozialdemokratische Gerüchteküche gewarnt? Und vor allem: Hat die SPD Friedrich bewusst ans Messer geliefert, um von sich selbst abzulenken?

Um solche Fragen zu beantworten, muss man sich die Chronik der Ereignisse vergegenwärtigen. Gabriel weihte nach Friedrichs Warnung Frank-Walter Steinmeier und Thomas Oppermann ein. Der heutige Außenminister war damals Fraktionsvorsitzender, Oppermann, der heute die Fraktion leitet, war Parlamentarischer Geschäftsführer. Gabriel rechtfertigt die Weitergabe. „Das mussten die beiden wissen“, argumentiert er. „Sonst hätten sie vielleicht Personalentscheidungen getroffen, die wir heute sehr bedauern würden.“

Brisantes Geheimwissen

Gabriel befand sich durch Friedrichs Indiskretion in einer unglücklichen Lage. Er konnte ja nichts dafür, dass ihm der Minister eine Bombe mit brennender Zündschnur hinüberschob. Er wusste nun, dass der Verfassungsminister mit Dienstgeheimnissen lax umgeht – darauf hat der Innenexperte der Linken, Frank Tempel, richtig hingewiesen. Aber er als SPD-Chef musste eine solche Sache eben nicht als Dienstgeheimnis behandeln.

Dass er die brisante Info damals an die zwei wichtigsten Entscheider der Fraktion weitergab, war deshalb in Ordnung. Nur so ließ sie sich produktiv nutzen. Entscheidungen über Personal waren ohne die zwei nicht denkbar, und jetzt war klar: Das Talent Edathy durfte und würde in der Großen Koalition nichts mehr werden. Gabriel betrieb also statthafte Schadensbegrenzung. Und betont heute, weder er noch Steinmeier und Oppermann „haben mit Edathy oder anderen darüber geredet“. Will heißen: Das Leck muss woanders sein.

Hielt die SPD-interne Dreierkette tatsächlich dicht? Im Moment spricht vieles dafür. In den Ermittlungsbehörden gibt es viele mögliche undichte Stellen, durch die interessante Informationen nach außen dringen können. Edathy selbst sagte dem Spiegel, er sei durch Medienberichte über die kanadische Firma, bei der er die Nacktbilder von Jungen bestellt haben soll, aufmerksam geworden.

Und noch etwas stützt Gabriels These: Selbst gut vernetzte SPD-Abgeordnete berichten, es habe damals „nie Gerüchte“ über Edathy in der Fraktion gegeben. Der habe sich in der Zeit der Koalitionsbildung zurückgezogen, erzählt etwa eine bekannte Parlamentarierin. „Das sah mir nach Burn-out aus. Aber die jetzt bekannten Vorwürfe hätte ich damals für abwegig gehalten.“

Besonders einen Sozialdemokraten hat die CSU im Visier: SPD-Fraktionschef Oppermann. Er war es, der Friedrichs Indiskretion am letzten Donnerstag per Pressemitteilung öffentlich machte. Oppermann rechtfertigt diese Offensive mit Presseanfragen, die ihm dazu vorgelegen hätten („Es geht um Wahrhaftigkeit!“). Sein Vorgehen empfindet die CSU jedoch als Verrat. Seehofer sagt mit Blick auf Oppermann: „Wir werden über die Art und Weise der Zusammenarbeit reden müssen.“

Oppermann steht auch wegen seines Anrufs bei Jörg Ziercke, dem Chef des Bundeskriminalamtes, in der Kritik. „Ich habe mir diese Informationen im Oktober 2013 in einem Telefonat von BKA-Präsident Jörg Ziercke bestätigen lassen“, schrieb er in seiner Mitteilung. Wenn man den gesunden Menschenverstand anlegt, ist das nachvollziehbar. Oppermann verfügte damals über dürre Informationen, die eine politische Karriere zerstören könnten. Was liegt da näher, als bei der Quelle nachzufragen, um sicherzugehen? Schließlich trug Oppermann die Verantwortung für die Zukunft des Abgeordneten Edathy.

Mit dem Telefonat beschritt er allerdings den sehr kleinen Dienstweg. Schließlich wollte er Interna über einen Dritten erfahren oder bestätigt bekommen, die viele Juristen als Dienstgeheimnis qualifizieren. Es ging ihm um Informationen, die Ziercke ihm im Zweifel nicht geben durfte. Oppermann, selbst Jurist, handelte mindestens ungeschickt, wenn vermutlich auch in bester Absicht.

Ziercke bestritt Oppermanns Version des Telefonats sofort. Er habe sich Oppermanns Darstellung angehört, ihm diese aber „weder bestätigt noch Informationen zum Sachverhalt mitgeteilt“, dementierte er ebenfalls am Donnerstag.

Erinnerungslücken? Oder legt jeder das Gespräch zu seinen Gunsten aus? Oppermann scheint heute seine Darstellung für ungeschickt zu halten. Jedenfalls korrigierte er sich in der Bild am Sonntag. Weil Ziercke seine Darstellung nicht kommentiert habe, „hatte ich nach dem Gespräch den Eindruck, dass ein Ermittlungsverfahren nicht ausgeschlossen ist“. Von einer Bestätigung Zierckes ist keine Rede mehr.

Der Fall Edathy ist für die Große Koalition deshalb nicht ausgestanden. Am Dienstag tagt der Koalitionsausschuss. Es ist sicher, dass die drei Parteichefs – Gabriel, Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel – die Tagesordnung um einen unschönen Punkt ergänzen werden. Friedrich, der Geschasste, hat sich eine Meinung zu Oppermann gebildet. Der habe ihm „in letzter Sekunde, wenn man ihn am Schlafittchen hat“, den Ball zugeschoben. „Das ist nicht ganz fein.“