„Die Hauptstadt der Nachtigallen“

Heute und morgen kommen 40 Experten aus der ganzen Welt an der Freien Universität zusammen, um neueste Erkenntnisse der Vogelgesangsforschung auszutauschen. Verhaltensbiologe Dietmar Todt über Stadtgezwitscher und gestresste Vögel

INTERVIEW ELISABETH RANK

taz: Herr Todt, heute beginnt an der FU die internationale Konferenz von Vogelgesangsforschern. Was wird denn dabei gezwitschert?

Dietmar Todt: Also wir zwitschern eher wenig, wir unterhalten uns nur.

Worüber denn?

Wir fragen uns, was im Gedächtnis der Vögel passiert, wenn sie singen lernen, wie der Gesang aufgebaut ist und inwiefern man ihn mit der Sprache des Menschen vergleichen kann. Denn beides ist ähnlich strukturiert, nur hat der Gesang nicht die Vielfalt an Bedeutung. Die Gesetzmäßigkeiten, die bei der Untersuchung von Vogelgesang entdeckt wurden, sind ähnliche wie im Humanbereich, zum Beispiel beim Spracherwerb eines Kindes.

Wie funktioniert das Zwitschern der Vögel eigentlich?

Das Wort „zwitschern“ sagt es eigentlich schon. Töne werden in einer hohen Frequenz besonders stark moduliert. In unseren Breitengraden sind nur die Männchen gesanglich aktiv. Aufgeteilt ist der Gesang in Strophen und Pausen.

Und was teilen sich die Männchen mit?

Mit diesen Tönen sagen sie eigentlich nur: Ich bin der Größte. Mit ihrem Gesang wollen sie Weibchen anlocken und Rivalen fernhalten. Struktur und Abfolge der Strophenelemente verschlüsseln eben diese Informationen.

Manche Vögel imitieren Stadtgeräusche wie Straßenbahnklingeln oder Baustellenlärm. Wie geschieht das?

Im Tierreich gehören die Vögel zu den besten Lernern. Diese Nachahmung von Alltagsgeräuschen kann vorkommen, muss aber nicht. Singvögel lernen in ihren sensiblen Altersphasen. Diese Phase beginnt etwa zwei Tage, nachdem sie das Nest verlassen haben, und dauert bis zu vier Wochen. Eine zweite Phase beginnt, kurz bevor sie von Afrika aufbrechen und nach Berlin zurückkommen. Eine Ausnahme sind die Stare, die tatsächlich manche Geräusche aufschnappen und dann gerne in einen nicht so wichtigen Teil ihrer einzelnen Strophen einbauen. Dies können auch einfache Handyklingeltöne sein.

Wenn ein Star so eine Melodie einbaut, verstehen ihn die anderen Vögel dann noch?

Dieses eingebaute Trällern interessiert die Menschen mehr als die anderen Vögel. Die anderen Vögel imitieren das hin und wieder und lernen somit wieder von einem Artgenossen. Eigentlich ist es ihnen aber egal.

Wie gehen Vögel in der Großstadt mit Straßenlärm um?

Vögel singen manchmal lauter, um sich abzuheben, aber nur in bestimmten Situationen. Das wusste schon Antoine des Saint-Exupéry, der Autor des Buches „Der kleine Prinz“. Dieser hat einmal in einem Brief an seinen Freund geschrieben, dass mit der Zunahme des Gefechtslärms vor dem Beginn einer Schlacht die Nachtigallen immer lauter wurden. Und Menschen sprechen ja auch lauter, wenn der Geräuschpegel ansteigt. Wenn am Wochenende aber nicht so viel Verkehr ist, dann singen die Vögel auch leiser.

Sind Vögel in der Stadt eigentlich gestresster?

Das, was man als Stress bezeichnen könnte, ist die mangelhafte Ausstattung ihrer Lebensräume. Am liebsten möchte man allen sagen: Lasst die Parks, in denen unsere Vögel zu Hause sind, möglichst auch am Untergrund frei. Nachtigallen brüten gerne in Brennnesseln. Also lasst sie stehen, genau wie die Brombeeren und den Efeu! Der Stress für die Vögel kommt, wenn sie keine Rückzugsgebiete mehr haben.

Inwiefern unterscheidet sich der Gesang von Kreuzberger Vögeln von dem Vogelgezwitscher in Mitte?

Es gibt keinen erkennbaren Unterschied. Die Vögel zwitschern das, was sie aufgeschnappt haben, als sie jung waren. Wenn sie dann keinen sozialen Partner haben, kann es vorkommen, dass sie wild lernen und die Geräusche nachahmen, die sie umgeben, wie eben das Klingeln einer Straßenbahn.

Wie geht es Singvögeln in Berlin?

Berlin ist ein ausgezeichneter Platz für Singvögel. Das liegt an den zahlreichen Parklandschaften und Grünanlagen wie zum Beispiel dem Tiergarten, dem Teufelsberg oder dem Treptower Park. Zwar finden sich auch viele Stare, Amseln und Rotkehlchen, aber es gibt keine Großstadt mit so vielen Nachtigallen. In Deutschland leben ungefähr 9.000 Paare, davon mehr als 1.500 in Berlin. Wir nennen Berlin auch die Hauptstadt der Nachtigallen.