Per Smartphone ins „Dritte Reich“

DIGITALE STADTKUNDE Eine neue App soll insbesondere Jugendlichen mehr Geschichtsbewusstsein vermitteln

Das Portal Spurensuche-bremen.de hält Infos zu 250 Bremer Orten bereit, die eine NS-Geschichte haben

Seit gestern ist eine kostenlose App erhältlich, die Informationen über Bremen zwischen 1933 und 1945 vermittelt. Herausgeber ist der Verein „Erinnern für die Zukunft“, der wiederum eng mit der Landeszentrale für politische Bildung zusammen arbeitet. „Wir wollen einen multimedialen Ort kollektiver Erinnerung anbieten“, sagte Vereins-Sprecher Marcus Meyer. Die NutzerInnen sollten „nicht mehr nur Konsumenten von Fakten sein“, sondern interaktiv ihre eigenen Eindrücke und Erfahrungen zu diesen Fakten wiedergeben.

Die App basiert auf dem Webportal Spurensuche-bremen.de, das 2010 frei geschaltet wurde und mittlerweile Informationen zur NS-Geschichte von 250 Bremer Orten bereit hält. Dieses Material ist nun auch per App abrufbar, wobei die auf der Website zum Teil hinterlegten Filme und Audiodateien aber erst in einer nächsten Fassung per App verfügbar sein werden. Wer sie herunter lädt, kann sich entweder die dem Standort nächst gelegenen „Spuren“-Orte anzeigen lassen – wobei der Download der Karten derzeit noch recht lang dauert – oder durch die alphabetisch angeordneten Einträge scrollen: Ehrenmal auf der Altmannhöhe, Ermordung von Johann Lücke und so weiter.

Eine der jüngsten Einträge erinnert an die im Allgemeinen vergessenen Raketen-Abschussrampen im Blockland. Albert Püllenberg und Konrad Dannenberg testeten im Kocks-Busch am Wümmedeich selbst gebaute Raketen, bis 1938 die Gestapo einschritt. Die Wehrmacht hatte an den Tüftlern jedoch so großes Interesse, dass sie sie nach Peenemünde verfrachtete. Dort unterstützten sie Wernher von Braun bei der V2-Entwicklung, Dannenberg verantwortete später in den USA den Bau der Triebwerke der Mondrakete Saturn V.

50 bis 70 tägliche Besuche mit einer Verweildauer von durchschnittlich drei Minuten hat Spurensuche-bremen.de. Durch die App erhofft sich Projektleiter John Gerardu vor allem die stärkere Nutzung durch Jugendliche. Eine zehnte Klasse der Oberschule Findorff hat die App bereits vorab gestestet. „Direkt bei uns um die Ecke war ein KZ, die Missler-Hallen“, sagt einer, „das hätte ich nicht gedacht.“ Durch die Fotos und den konkreten Ort blieben solche Infos „viel mehr im Kopf, als wenn man das nur auf Papier vor sich hat“. Einer will nun selber etwas beitragen: Von seiner Oma bekam er zahlreiche Aufnahmen von 1945, die das Spurensuche-Team bald hochladen will.

Doch wie viele der übrigen SchülerInnen werden die App unabhängig vom Unterricht innerhalb der kommenden Wochen noch mal aufrufen – sozusagen freiwillig? Immerhin die Hälfte hebt den Arm. „Natürlich ist das nichts für jeden Tag“, sagt einer. Aber er wolle jetzt schon mal wissen, „was in meiner Straße so los war“.

Wenn sich mehr als die Hälfte gemeldet hätte, wäre das nicht glaubwürdig gewesen: Derzeit ist die App lediglich im Google Play Store erhältlich, also nur auf Android-Geräten einsetzbar. „Die Hälfte von uns hat ein iPhone“, kommentiert ein Schüler trocken.  HENNING BLEYL