„Das Thema ist zu groß“

Die Hiphop-Band Blumentopf hat im Nahen Osten mit Israelis und Libanesen gerappt und ist in Amman knapp einem Anschlag entgangen. Ein Gespräch über eine sehr unheimliche Tournee

Interview MICHAEL AUST

taz: Ihr habt auf eurer Reise in den Nahen Osten mit libanesischen und israelischen Rappern Musik gemacht. Wie war denn die Zusammenarbeit mit den Kollegen?

Sepalot: Wir wollten in jeder Stadt, in denen wir ein Konzert spielen, mit Bands vor Ort an Songs zusammenarbeiten. Manche Sachen haben wir auch aufgenommen, zum Beispiel in Alexandria mit der Why-Crew. Das war extremst cool, mit denen zusammenzuarbeiten und in Alexandria abzuhängen. In Beirut haben wir mit der Gruppe Ashekman (hustet) – das wird gehustet, weil es „Auspuff“ bedeutet – einen Song gemacht, den wir später in Deutschland noch mal aufgenommen und ihnen per E-Mail geschickt haben, weil sie den für ihr Album nehmen wollten. Wobei jetzt, bei der Situation, die dort herrscht, an so was wie Platten aufnehmen überhaupt nicht zu denken ist.

taz: Wie ist die Situation der Musiker im Nahen Osten?

Sepalot: Wenn man den Fokus auf den Hiphop richtet, steckt dort alles noch in den Kinderschuhen. Es hat mich ein bisschen daran erinnert, wie es hier vor zehn Jahren war. Andererseits hat es auch überhaupt nichts damit zu tun: Die Infrastruktur etwa – Konzertlocations, Leute, die so was bewerben, Plattenläden – ist dort überhaupt nicht ausgebaut. Wir sind in vielen Städten nicht wirklich in einer Konzertlocation aufgetreten. In Beirut haben wir in einem Kino gespielt, wo nach uns ein Film gelaufen ist. Und in Bethlehem sind wir in einer Turnhalle aufgetreten, da gab es nichts anderes. Die Stadt liegt im palästinensischen Gebiet und ist komplett eingemauert – wenn man da reinfährt, denkt man, man fährt durch den Hochsicherheitstrakt ins Gefängnis.

Cajus: In Alexandria sind wir im Konferenzraum einer Bibliothek aufgetreten. In einer Achtmillionenstadt, in der es keine Konzertlocation gibt! Das ist für uns hier gar nicht vorstellbar, wo jede kleine Gemeinde ein Jugendzentrum hat, in dem man Konzerte veranstalten kann.

Wie war die Situation in Beirut, der Stadt, die jetzt am meisten unter dem Krieg leidet?

Sepalot: Beirut ist eine sehr weltoffene Stadt. Man sieht, dass sehr viel Geld in der Stadt ist. Jedes fünfte Auto, das wir gesehen haben, war ein Hummer-Jeep oder ein ganz dicker Mercedes. Einfach weil viele Leute, die Geld haben im arabischen Raum, dort Ferien machen. Dort gibt es eine ausgeprägte Clublandschaft, aber die beschränkt sich auf Techno-House-Musik. Konzertlocations gibt es auch dort so gut wie keine.

In Amman seid ihr dann mit mit dem real existierenden Terrorismus in der Region konfrontiert worden …

Cajus: Das wäre unser drittes Konzert gewesen. Wir waren eine Woche in Nazareth und Bethlehem, dann in Amman, und dann hat’s „Peng“ gemacht.

Sepalot: Wir sind in Amman angekommen und mussten uns entscheiden: Wollt ihr hier was essen im Hotel oder noch eure Konzertlocation angucken? Das war um 19.45 Uhr. Wir hatten ziemlich viel Stress an der Grenze, weil einer von uns kein Visum hatte und über einen anderen Grenzübergang musste. Es war ein sehr aufregender und langer Tag, wir hatten viele Stunden an der Grenze verbracht und waren fix und fertig. Also haben wir entschieden, die Konzertlocation erst am Morgen zu besichtigen und sind essen gegangen. Und um Viertel nach acht ging in der Lobby vom Hyatt-Hotel die Bombe hoch. Wir hätten das Konzert im Konferenzsaal spielen sollen, quasi im Nebenraum. Wir wären direkt reingelaufen. Unfassbar, was wir für ein Glück hatten. Das passiert einem vermutlich nur einmal im Leben.

Wie habt ihr reagiert?

Cajus: Wir waren total vor den Kopf gestoßen, geschockt. Die Nacht haben wir dann nicht im Hotel verbracht, sondern beim Leiter des Goethe-Instituts von Amman, weil insgesamt in drei Hotel-Lobbys Bomben hochgegangen waren. Am nächsten Tag sind wir erst mal für ein paar Tage in die Wüste gefahren.

Sepalot: Es war schon interessant, an sich selbst und den Leuten dort zu bemerken, wie schnell man zur Normalität zurückkehrt. Am nächsten Tag war auf den Straßen eine Riesensolidarität. Leute, die signalisieren wollten, dass sie trauern und nicht zu den Terroristen gehören. In unseren Breitengraden gibt es dann Lichterketten, Trauermärsche oder Schweigeminuten. In Jordanien wird das anders verarbeitet: Dort fahren die Leute dann hupend mit ihren Autos und Fahnen aus dem Wagen durch die Straßen …

Cajus: … als wenn sie Weltmeister geworden wären.

Sepalot: Da hat man gemerkt, wie komisch solche Bilder bei uns ankommen können. Wenn man solche Bilder im Fernsehen sieht, denkt man: Was ist das denn? Da ist gerade was Schreckliches passiert, und die fahren wirklich herum, als wären sie Weltmeister geworden. Das war befremdlich, aber es ist halt eine andere Kultur.

Habt ihr jetzt, während des Kriegs, immer noch Kontakt mit Kollegen aus Beirut?

Holunder: Ich hab so eine Art Telefonat mit den Jungs von Ashekman geführt. Über einen Radiosender, der eine Verbindung hergestellt hat. Technisch war das schwierig, ich hab immer nur halb gehört, was die gesagt haben. Wir konnten keinen echten Dialog führen. Aber sie haben gesagt, es geht ihnen gut, sie sind alle noch heil. Sie wollen, dass der Scheiß bald aufhört.

Eure Reise war im November. Auf eurem Album „Musikmaschine“, das am 8. September erscheint, findet sich aber keine einzige Zeile darüber. Warum kein politischer Song über den Nahen Osten?

Sepalot: Wir haben angefangen, einen Song über die Reise zu machen, aber schnell gemerkt, dass das Thema zu groß ist, als dass man es in einem Song abhandeln könnte. Selbst wenn man den Song nur aus persönlichen Erfahrungen aufgebaut hätte – allein dadurch, dass man das eine weglässt und das andere erzählt, würde man ein falsches Licht auf die Situation werfen, wie wir sie dort erlebt haben.

Cajus: Wir haben schon politische Songs gemacht, aber nicht mit der Holzhammer- oder Parolenmethode. Wenn du dann ein so komplexes Thema hast, kannst du dich eigentlich gar nicht richtig ausformulieren, ohne am Schluss auf Parolen zurückzugreifen. Das wollten wir vermeiden.

Was denkt ihr, wenn ihr jetzt Bilder aus Beirut seht?

Cajus: Wir haben Beirut als Stadt kennen gelernt, die vom Bürgerkrieg gekennzeichnet ist. Wo der Virgin Megastore [Großmarkt für Tonträger; Anm. d. Red.] hochpoliert da steht und links und rechts zerbombte Häuser, die nicht wieder aufgebaut wurden. Das ist das Stadtbild da, auf Schritt und Tritt sieht man Einschusslöcher. Die Stadt wurde Stück für Stück wieder aufgebaut, und die Leute dort gehen ihrem normalen Leben nach, sie schauen nach vorne. Und dann passiert so was. Das ist nicht nur ein kleiner Schnitt, das wirft die Stadt um Jahre zurück. Alle bis dahin getane Arbeit ist dahin.