Beckplatzecksteinmeiergabriel wird Kanzlerkandidat

Die SPD sitzt in den Umfragen im 30-Prozent-Turm gefangen. Machen sich deswegen mehrere Bewerber stille Hoffnungen auf die Kanzlerkandidatur?

BERLIN taz ■ Zu den Eigentümlichkeiten des politischen Geschäfts gehört es, dass von allen Beteiligten am liebsten über Dinge geredet wird, die nicht auf der Tagesordnung stehen, seien es Koalitionsmodelle, Parteiämter oder, am allerliebsten, Personen in Verbindung mit Koalitionsmodellen und Parteiämtern. Dieses Gerede ist a) oft unterhaltsam und b) meistens überflüssig. Manchmal jedoch kann man dabei etwas über den Zustand eines politischen Akteurs erfahren.

Auf der Hitliste der überflüssigen Themen ganz oben steht für die SPD im Moment die Frage, wer sie als Kanzlerkandidat in den nächsten Bundestagswahlkampf führt. Der sozialdemokratische Umweltminister Sigmar Gabriel hat diese Frage gestern mal wieder aufgeworfen – und gleich auch noch beantwortet. „Die Messlatte für den Parteivorsitzenden und den Kanzlerkandidaten der SPD ist das Wahlergebnis von Kurt Beck in Rheinland-Pfalz“, dekretierte Gabriel (46) im Stile eines Ehrenvorsitzenden in einem Stern-Interview. „Ich finde, wir sollten uns nicht mit 30 Prozent zufriedengeben. Kurt Beck zeigt, dass mehr drin ist. Und deshalb ist er auch der richtige Mann.“

Kurt Beck der richtige Mann? Da kann man gewiss anderer Meinung sein. Beck, ein erfolgreicher Ministerpräsident in der westdeutschen Provinz und seit drei Monaten SPD-Chef, kommt mit den erhöhten Anforderungen in Berlin bislang nur schwer zurecht. Und doch gelten auch für ihn die zwei politischen Binsenweisheiten: Erstens hat der Parteivorsitzende bei der Kanzlerkandidatur das Recht des ersten Zugriffs. Zweitens wird die Frage entschieden, wenn sie ansteht. Auf diese Selbstverständlichkeiten hat Beck schon am 11. April 2006 in einem Interview hingewiesen; nur einen Tag nachdem er von der SPD-Führung zum Nachfolger des zurückgetretenen Matthias Platzeck auserkoren worden war.

Also hat Gabriel jetzt nur das wiederholt, was ohnehin jeder in der SPD denkt: Wenn Beck als Parteichef nicht versagt, dann wird er auch der nächste Kanzlerkandidat? Ja. Und nein.

Ja – weil die meisten in der SPD momentan davon ausgehen, dass Beck die Kandidatur annimmt. Nein – weil in diesen unsicheren Zeiten niemand darauf wetten würde, dass seine Vorhersage Wirklichkeit wird. Die Unzufriedenheit in der SPD ist groß, die Partei krepelt seit Monaten in den Umfragen bei 30 Prozent herum. Auch für die Union ist die große Koalition keine Herzensangelegenheit. Und lehrt nicht die Erfahrung mit Schröders Neuwahlcoup, dass die Zeiten vorbei sind, in denen die deutsche Parteienlandschaft als Hort ewiger Stabilität galt? Warum sollte es also keine Überraschung mit der großen Koalition geben? Und warum nicht auch mit der SPD-Kanzlerkandidatur?

Und hier kommt wieder Gabriel ins Spiel. Der Niedersachse ist der einzige Sozialdemokrat unter 50, der vielleicht das Zeug hat für die ganz großen Aufgaben: den Vorsitz einer Partei oder einer Bundestagsfraktion also oder gar das höchste Regierungsamt. Gabriel, der trotz seiner Erfahrung als niedersächsischer Ministerpräsident immer als Hallodri und Raufbold galt, gibt sich seit Monaten geläutert und macht ganz auf harmlosen Fachmann. „Ich strebe wirklich nichts anderes an“, sagt er. „Ich will Umweltpolitik als Innovationspolitik entwickeln.“ Und entwirft im Stern-Interview gleich erst mal ein Zukunftsprogramm für die gebeutelte SPD. Hat er Beck ins Spiel gebracht, um nach einer gescheiterten Kandidatur des Rheinland-Pfälzers selbst zum Zuge zu kommen?

Auch andere Sozialdemokraten werden immer wieder als Kanzlerkandidaten genannt, selbstverständlich mit dem Hinweis, ihre Chancen seien nur gering: der mittlerweile populäre Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der ehrgeizige Finanzminister Peer Steinbrück, selbst der zurückgetretene, aber immer noch beliebte Exvorsitzende Matthias Platzeck, der sich jüngst per Interview als „wieder völlig fit“ zurückgemeldet hat.

Klar scheint nur eines: Franz Müntefering wird’s nicht. Der Vizekanzler (66) dreht in dieser Legislatur seine letzte Runde als Spitzenmann. JENS KÖNIG