„Die anderen Parteien haben geschlafen“

DGB-Nord-Chef Peter Deutschland über Versäumnisse der Politik in Mecklenburg-Vorpommern und die Chance der NPD

taz: Herr Deutschland, wird in Mecklenburg-Vorpommern bei der Landtagswahl am 17. September die Wahlbeteiligung abrutschen?

Peter Deutschland: Unsere große Sorge ist, dass das der Fall ist. Wenn die Beteiligung im Bereich 50 bis 60 Prozent liegt, hat die NPD gute Chancen, in den Landtag zu kommen. Das wollen wir verhindern.

Bei der letzten Landtagswahl waren es doch 70,6 Prozent.

Wenn man den Trend in anderen ostdeutschen Ländern sieht, besteht die reale Gefahr, dass diesmal weniger Menschen zur Wahl gehen.

Auch weil die Bundestagswahl nicht am selben Tag stattfindet wie 1998 und 2002?

Da bin ich mir nicht ganz sicher. Es ist eine Frage der Stimmungslage, aber die ist momentan nicht gerade positiv. Es kann sein, dass sich das verändern wird, wenn der Wahlkampf richtig losgeht. Möglicherweise mobilisiert das die Leute doch noch.

Wieso würde die NPD von Wahlmüdigkeit profitieren?

Die NPD hat zwar als Partei auch nicht so viele Mitglieder und Anhänger, konnte die aber bei den letzten Wahlen gut mobilisieren. Außerdem bekommt sie Schützenhilfe von den so genannten Kameradschaften und wird finanziell und personell massiv von der Bundes-NPD unterstützt.

Was wollen Sie tun?

Wir haben diese Woche eine Aktion gestartet, mit der wir unter anderem dazu auffordern, keine Partei zu wählen, die antidemokratisch, rassistisch und fremdenfeindlich ist.

Wie wollen Sie die Leute überzeugen?

Durch Aufklärung und gute Argumente. Die NPD in Mecklenburg-Vorpommern schlägt bezeichnenderweise vor, die Schüler sollten lieber einen Dreisatz lernen, statt über das Dritte Reich aufgeklärt zu werden. Aus ihrer Sicht verständlich: Wenn sie darüber nichts lernen, wissen sie nicht, in welcher Tradition die NPD steht. Nämlich in der Tradition einer Partei, die Millionen Menschen umgebracht hat.

Der DGB ist im Nordosten kaum verankert. Wie wollen Sie die Menschen erreichen?

Wir haben immerhin über 100.000 Gewerkschaftsmitglieder im Land. Unsere Wahltour läuft bis Ende des Monats durch ganz Mecklenburg-Vorpommern. Da versuchen wir mit den Leuten ins Gespräch zu kommen.

Das hört sich ja nicht gerade nach einer Großaktion an.

Wir machen, was in unseren Kräften steht. Wir haben in diesem Jahr aber schon eine Reihe Aktionen gemacht, die größte am 1. Mai in Rostock, wo die NPD zu einer Demonstration aufgerufen hatte. Da brachten wir mit einer Gegenveranstaltung einige tausend Leute auf die Beine. Unter anderem traten Konstantin Wecker und Katharina Franck von den Rainbirds auf. Man kann so was aber nicht alle zwei Monate stemmen.

Auch die großen Parteien führen eine Art Mangelwahlkampf mit wenig Geld und wenigen Leuten. Müssten sich die Demokraten in ganz Deutschland nicht mal um diese Wahl im Nordosten kümmern?

Man muss erst mal sehen, was in Mecklenburg-Vorpommern noch gemacht werden kann. Die Parteien haben das Thema jahrelang sträflich vernachlässigt. Immer, wenn eine Wahl anstand, sind sie aufgewacht und haben Ressourcen mobilisiert. Wenn die NPD dann doch nicht in den Landtag kam, fielen sie wieder in einen politischen Dornröschenschlaf. Jetzt haben sie hoffentlich begriffen, dass man so nicht agieren kann.

Was schlagen Sie vor?

Man darf nicht nur diese Wahl sehen, sondern muss endlich lernen, dass man in der Auseinandersetzung mit der NPD langfristig agieren muss. Die NPD agiert auch langfristig, strategisch und ist dabei sehr geschickt. Diese Landtagswahl ist für sie nur eine Etappe. Die Parteien in Mecklenburg-Vorpommern haben sich aus vielen Orten zurückgezogen, weil ihnen die Mitglieder fehlen. Die NPD dagegen ist in Uecker-Randow oder Ostvorpommern sehr aktiv und hat feste Strukturen. Dort sind ihre Brückenköpfe.

INTERVIEW: GEORG LOEWISCH