Vormarsch gestoppt

AUS JERUSALEM SILKE MERTINS

Israel scheut vor der angekündigten Großoffensive im Südlibanon nun doch zurück. Nur einen Tag nach der Entscheidung des Sicherheitskabinetts hat der israelische Ministerpräsident Ehud Olmert den Vormarsch der Armee gestern auf Eis gelegt.

Offiziell heißt es, die Regierung wolle der Diplomatie eine Chance geben. Der UNO-Sicherheitsrat ringt derzeit um eine Resolution zur Beendigung der Krise. „Es besteht eine Chance, dass eine internationale Truppe in der Region eintreffen wird“, sagte Kabinettsminister Rafi Eitan im Armeerundfunk Galei Zahal.

Doch Olmert hatte schon vor dem Beschluss Bedenken, weil eine Bodenoffensive mit insgesamt 30.000 Soldaten hohe Verluste mit sich bringen könnte. Seine Befürchtungen wurden noch am selben Abend bestätigt: 15 israelische Soldaten starben in den Kämpfen mit der von Syrien und Iran unterstützten Schiitenmiliz Hisbollah. Zahlreiche weitere wurden verletzt. So hohe Verluste hat es an keinem anderen Tag seit Beginn des Krieges gegeben.

Auch im Sicherheitskabinett selbst war die Entscheidung nicht unumstritten. Israelische Medien berichteten gestern, Verteidigungsminister Amir Peretz und Transportminister Schaul Mofas hätten sich während der Sitzung angeschrien. Mofas, Peretz’ unfreiwillig geschiedener Amtsvorgänger, kritisierte die Ausweitung der Offensive. Sie komme zu spät. Peretz darauf: „Wo warst du denn eigentlich, als die Hisbollah sich bewaffnet hat?“

Enthalten haben sich schließlich drei Minister, darunter auch Olmerts Stellvertreter Schimon Peres. „15 Opfer zeigen, welchen Preis wir zahlen werden, wenn wir den diplomatischen Prozess nicht voll ausschöpfen“, sagte er der Internetausgabe der Zeitung Jedioth Ahronot. Wenn es nicht funktioniere, könne man immer noch in den Krieg ziehen.

Druck kam außerdem von amerikanischer Seite, dem engsten Verbündeten Israels. Die US-Regierung hatte Tel Aviv in verhältnismäßig scharfer Form gewarnt. „Eine Eskalation ist etwas, was wir nicht sehen möchten“, sagte Tony Snow, Sprecher des US-Präsidenten George W. Bush auf der Präsidenten-Ranch in Texas. Die US-Forderung nach einem Ende der Gewalt richte sich selbstverständlich an beide Parteien, fügte er hinzu. Die USA arbeiteten hart daran, in der UNO „die Unterschiede zwischen den USA und einigen Positionen unserer Verbündeten zu überbrücken“, sagte Snow.

Auch an der Heimatfront droht die Stimmung umzuschlagen. Wegen der angekündigten Bodenoffensive haben die linksliberale Partei Meretz und die Friedensorganisation „Frieden jetzt“ angekündigt, dass sie zur Antikriegsbewegung überwechseln werden. Bisher hatten nur kleinere linke Gruppen und arabische Parteien gegen den Krieg demonstriert. „Ich, der ich zuerst für die Militäroperation war, denke jetzt, dass die Regierung nicht genug tut, um den Krieg zu beenden“, sagt Jariw Oppenheimer, Sprecher von „Frieden jetzt“. „Statt Truppen tief in den Libanon zu schicken, sollte Olmert lieber (Außenministerin Tsipi, d. Red) Liwni zum Sicherheitsrat schicken, um ein politisches Arrangement abzuschließen.“ Bereits für den Abend organisierten sie erste Demonstrationen in Tel Aviv.

Hisbollah-Sprecher Hassan Nasrallah hatte am Mittwochabend Israel davor gewarnt, den Krieg fortzusetzen. Südlibanon würde „ein Grab für die Zionisten“ werden, drohte er. Er forderte außerdem die arabischen Bürger der israelischen Hafenstadt Haifa auf, die Stadt zu verlassen, damit die Hisbollah dorthin ungehemmt Raketen abfeuern kann. „Wir gehen nirgendwo hin“, lehnte Issam Mahul den Aufruf ab. „Wir werden unser Zuhause und unsere Heimatstadt nicht verlassen.“ Die Araber in Haifa seien Teil des palästinensischen Volkes und hätten sich bereits 1948 geweigert zu gehen. „Wir werden es ganz sicher auch jetzt nicht tun. Nasrallah sollte das eigentlich wissen.“