Die Familie hält zusammen

JUSTIZ Im Pokerprozess räumt ein Mittäter „mögliche Lügen“ ein, die Anwälte halten Richter für befangen

Die Beweise werden wackliger: Im zweiten Pokerprozess gegen die beiden mutmaßlichen Drahtzieher des Raubes, Mohamed A.-C. und Ibrahim El-M., bekannte am Dienstag einer der bereits verurteilten Räuber, im ersten Verfahren „möglicherweise nicht die Wahrheit gesagt“ zu haben. Später stellten die Verteidiger einen Befangenheitsantrag gegen den Richter.

Selbstbewusst nahm Mustafa U. am Zeugentisch Platz. Er wolle nichts aussagen, ließ der 20-Jährige über seinen Anwalt verlauten. Außer, dass er im ersten Verfahren zu den Tatabläufen möglicherweise nicht immer zutreffend geantwortet habe. Die Verteidiger der jetzt Angeklagten wurden hellhörig. „Auch zu Personen?“, fragte einer. „Ja“, gab U. zurück. U. war der Einzige der vier bereits Verurteilten, der durchgängig Ibrahim El-M. als Mittäter bezeichnet hatte. Die anderen sprachen vor Gericht nur von „U1“ und „U2“.

Anfang März hatten die vier 19- bis 22-Jährigen das Pokerturnier am Potsdamer Platz überfallen und 242.000 Euro erbeutet. Dafür erhielten sie Haftstrafen von mehr als dreieinhalb Jahren. Seit einer Woche wird nun den Hintermännern der Prozess gemacht. Am Dienstag wurden nacheinander die vier schon Verurteilten von Justizmitarbeitern vorgeführt – doch alle schwiegen. Dies ist legitim, da drei von ihnen gegen ihre Urteile in Berufung gegangen sind.

Nur einer, Ahmed El-A., hat sein Urteil akzeptiert. Aber auch er wollte keine Aussage machen. Er habe momentan keinen Anwalt und suche einen neuen, so der 20-Jährige. Richter Carsten Wolke gab nach: El-A. habe fünf Tage Zeit für die Suche, dann müsse er aussagen. El-A. quittierte das grinsend gen Publikum, wo sich Freunde und Verwandte der Angeklagten versammelt hatten.

Dann stand eine E-Mail im Fokus, die Richter Wolke vor Prozessbeginn anonym zugegangen war. Der Verfasser hatte bekundet, etwas zur Tat sagen zu können, aber „Angst“ zu haben. Das Schreiben hatte Wolke unter anderem angeführt, um das hohe Polizeiaufgebot im Gericht zu begründen. Dies hatten die Verteidiger als „Stimmungsmache“ kritisiert. Die „Angst“ des E-Mail-Verfassers habe sich nicht auf die Angeklagten bezogen, sondern auf eine mögliche Gefängnisstrafe, so die Anwälte. Sie stellten einen Befangenheitsantrag, da die Darstellung des Richters „unwahrhaftig“ gewesen sei.

Mohamed A.-C., laut Anklage Initiator des Raubes, und Ibrahim El-M., mutmaßlicher Fluchtwagenfahrer, verfolgten das Prozedere regungslos. Da die beiden schweigen, zählen jetzt Indizien: Handy-Verbindungsdaten zwischen A.-C. und El-M. zur Tatzeit, der Fundort des Fluchtwagens auf einem Garagenplatz von El-M.s Mutter, die Aussagen von fünf verdeckten Informanten der Polizei. „Das wird ein Puzzle“, so Staatsanwalt Sjors Kamstra. Der Prozess ist bis November angesetzt. KONRAD LITSCHKO