LESERINNENBRIEFE
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Geschürte Ängste

■ betr.: „Die Gefahr wird extrem überschätzt“, Interview mit dem Kriminologen Thomas Feltes, taz vom 9. 8. 10

1. Die Einlassungen von Herrn Feltes zu Problemen der Sicherungsverwahrung erinnern auffällig an die „Schuldzuweisungen“ des früheren Bundeskanzlers Schröder anlässlich des Sexualmords von Julia Hose aus dem hessischen Bibertal Ende Juni 2001: Schelte gegenüber den forensischen Psychiatern und den – jedenfalls „unteren“ – Richtern – allerdings wird ihnen mal zu viel Nachsicht (Schröder), mal zu viel unbegründete Vorsicht (Feltes) angekreidet.

2. Dass die forensische Psychiatrie erst noch zu begründen ist, kann wohl auch nicht so gemeint sein: es gibt in der Bundesrepublik eine Reihe von Lehrstühlen, Abteilungen der forensischen Psychiatrie. Eine der renommiertesten Einrichtungen dieser Art gibt es an der Charité, das über Berlin hinaus berühmte, vom ebenso berühmten W. Rasch gegründete Institut für Forensische Psychiatrie.

3. Es ist eine leere Hoffnung, auf die Möglichkeit einer treffgenaueren Gefährlichkeitsprognose zu setzen – die wissenschaftlichen Chancen sind weitgehend ausgereizt.

4. Die Probleme liegen auf einer „höheren“ Ebene, nämlich der der Gesellschaft und ihren teils „abgeleiteten“, teils auch „geschürten“ Ängsten. Diese aber lassen sich nicht mit der „Wirklichkeit“ von Sexual- und sonstigen schweren Gewalttaten begründen. Diese sind – glaubt man der offiziellen polizeilichen Kriminalstatistik – zurückgegangen: ganz im Gegensatz zu den Vorstellungen darüber in der Gesellschaft, wie eine Studie des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen schon vor Jahren eindrucksvoll belegt hat. Deshalb sprechen Soziologen – so etwa der englische Soziologe Zygmunt Bauman – von der Kriminalitätsangst als einem „Vehikel“, das für Ängste steht, die nicht von der Kriminalität, sondern von vielfältigen anderen sozialen Ängsten herrühren. „Geschürte“ Ängste haben als Verursacher Politiker, Journalisten und andere Helfershelfer, die wissen und erprobt haben, dass „Angst“ botmäßig und willfährig macht.“ Die amerikanische Kriminologie hat dafür einen plastischen Begriff geprägt: „governing through crime“.

5. Vor diesem Hintergrund lässt sich mit der traditionalen Kriminalpolitik, die nichts anderes sein will als Kriminalpolitik, nicht viel ausrichten. Jeder einzelne spektakuläre Kriminalfall reicht aus, um den beschriebenen Mechanismus in Gang zu halten. Und kein Politiker und kein Experte wird sich zu dem „Versprechen“ versteigen, auch den letzten Schwerkriminellen hinter Schloss und Riegel zu bringen, auch die letzte Sicherheitslücke schließen zu können.“ FRITZ SACK,

Institut für Sicherheits- und Präventionsforschung, Uni Hamburg

Sarrazins Zinseszinsrechner

■ betr.: „Ihro Hoheit geruhen zu warnen“ („Inszenierung als Tabubrecher“, online), taz vom 24. 8. 10

Nicht nur die rhetorische Figur „Tabubrecher“ ist wenig originell, auch die beschriebene Perspektive – soweit schon beurteilbar – ist wohl bloß eine deutsche Übertragung des aus dem geopolitischen Sumpf des islamophoben Teils des angloamerikanischen Raums schon lange als „Eurabia“ bekannten Konzepts. Diese plumpe Extrapolation derzeitiger gesellschaftlicher Verhältnisse auf das gesamte kommende Jahrhundert wird auf Deutsch wohl auch nicht weniger hanebüchen sein als auf Englisch. Mit etwas Glück fehlt immerhin der verschwörungstheoretische Teil der Originalthese.

Hier wendet wohl jemand seine primitive Kaufmannsmathematik auf Dinge an, die sich in so dermaßen anderen Komplexitätsskalen bewegen, dass man ihm am liebsten eine ganze Bibliothek über mathematische Modellierung an den Kopf werfen möchte, gefolgt von Isaac Asimovs „Foundation“-Trilogie, wo eine erste gelungene soziologische Langzeitvorhersage etliche Jahrtausende in die Science-Fiction-Zukunft projiziert wurde. Da gehört sie denn auch hin, nicht in Herrn Sarrazins Zinseszinsrechner. CHRISTIAN MERTES, Bielefeld

Sauerkraut zum Döner

■ betr.: „Ihro Hoheit geruhen zu warnen“ von Ulrike Herrmann,taz vom 24. 8. 10

Hier soll in weiten Teilen Stimmung gegen Minderheiten (Migranten, Arbeitslose, Unterschichten) gemacht werden mit dem donnernden Schlachtruf „Wir Deutsche sterben aus“. Was ist denn eigentlich typisch deutsch und was nicht? Sauerkraut zum Döner? Verändern sich denn Nationen nicht im Laufe der Jahrhunderte? Und ist nicht Deutschland immer ein Einwanderungs- und Durchgangsland gewesen? Selbst der Name Sarrazin scheint doch nicht so richtig urdeutsch zu sein.

Doch eine Frage schwebt über allen anderen: Warum nur kaufen sich Menschen ein Buch ausgerechnet von Thilo Sarrazin und nicht z. B. von Goethe oder Schiller? Da schweigt des Sängers Höflichkeit … FRANZ SCHART, Gelsenkirchen

GEZ, eine der letzten Bastionen

■ betr.: „Zwangsabgabe. Wo das Böse wohnt. Ein Hausbesuch bei der GEZ“, taz vom 21. 8. 10

Das gebührenfinanzierte Fernsehen und Radio in Deutschland ist eine der letzten Bastionen vor der völligen Verblödung durch die Privatmedien nach USA-Muster. Ich bin entsetzt, in welches Horn die taz hier tutet, ist sie doch für mich – genau wie die GEZ – Garant für einen gesicherten Restbestand von allgemeiner Volksbildung. Solange die Tendenz dahin geht, durch Sensationsgier und Schwachsinn die Einschaltquoten zu produzieren, ist die Existenz von GEZ/Gebühren noch Grund zur Hoffnung. VOLKER JUNG, Hamburg