VOR DEM CAFÉ
: Geschlossen

Man braucht ein Café wie einen Freund

Auf der Oranienstraße stand ich vor dem Café, das ich schon, seit ich in der Umgebung wohnte, regelmäßig aufsuchte, weil ich mich dort für einige Zeit angenehm zerstreuen konnte. Aber heute konnte ich nicht rein. Es war geschlossen. Schlimmer noch, die Inneneinrichtung fehlte. Das Schild an der Außenfassade hing noch da, aber drinnen bewegte sich nichts. Ich rief eine Freundin an.

„Du, ich steh hier vorm Café und …“

„Zum Kotzen, ja.“

„Weißt du, was los ist?“

„Die vierfache Miete wollten die Schweine vom Besitzer, hat mir Stefan erzählt.“

„Es wird böse enden.“

„Komm doch später noch auf ’nen Kaffee vorbei, ja?“

Ein geschlossenes Café ist kein Freund, bei dem man plötzlich feststellt, dass man sich von ihm entfremdet hat. Ein geschlossenes Café ist kein kleines Kind, das einen plötzlichen Fiebertod stirbt. Und ein geschlossenes Café ist keine Frau, die ihren Mann ohne Grund vom einen auf den anderen Tag verlässt und noch nicht mal in der Lage ist zu sagen: „Ich liebe dich nicht mehr.“

Ein Café, sauber, gut ausgeleuchtet und ohne Musik, ist etwas, das man braucht wie einen Freund, wie ein Kind, wie eine Frau, die man liebt. Es ist ein Rückzugsort aus der Öffentlichkeit innerhalb der Öffentlichkeit, ein Ort, der zu einer vorübergehenden Heimat werden kann, bis man die eigene wiedergefunden hat. Und dieser Ort war nun verschwunden.

Ich kann meinen Kaffee auch zu Hause trinken, dachte ich im Weggehen. Obwohl das natürlich nicht dasselbe ist. Oder ich kann mir ein neues Café suchen, ich werde es sogar müssen. Was heißt schon „müssen“, man tut so etwas ja einfach. Aber es wird eine Zeit lang dauern. „Und wer seinen Kaffee zu Hause trinkt“, dachte ich an das Zitat eines französischen Dichters des 17. Jahrhunderts, „braucht auch nur eine Jacke im Schrank.“ TOBIAS PREMPER