Nicht schlimmer als ein Wespenstich

In den vergangenen Wochen verunsicherte eine Tiermeldung die Berliner und Brandenburger: Der Dornfinger ist in der Region unterwegs. Tatsächlich ist die Panik vor der kleinen Giftspinne Cheiracanthium punctorium völlig unbegründet

Unter der Lupe betrachtet sieht er wahrhaftig unappetitlich aus: Er ist Gliederfüßler und Kieferklauenträger. Eigentlich ist der Dornfinger aber auch nur eine kleine Spinne von 15 Millimeter Körperlänge. Die Tatsache, dass er, als eine von drei in Deutschland vorkommenden Giftspinnenarten, dem Menschen etwas anhaben kann, ist für viele Anlass zur Panik – und dass er in der Region Berlin-Brandenburg zuletzt häufiger gesichtet wurde. Dass die Wahrscheinlichkeit, tatsächlich attackiert zu werden, gegen null tendiert, bekommen sie bei der Aufregung gar nicht mit.

Es sei ziemlich unwahrscheinlich, als normaler Freund von Sommerwiesen von einem Dornfinger gebissen zu werden, bestätigt Michael Freude, Präsident des Brandenburger Landesumweltamtes. Und selbst, wenn – ein solcher Biss unterscheide sich in seinen Auswirkungen nicht wesentlich vom Stich einer Wespe. Also: Eis drauf und abwarten. Nur bei allergischen Reaktionen sollte man einen Arzt aufsuchen.

Während sich der Mensch prophylaktisch medizinischen Rat holt, erholt sich die nachtaktive Spinne erst wieder. Zurzeit steht der Dornfinger auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten. Wie groß der aktuelle Bestand ist, kann niemand genau sagen. „Ein paar tausend werden es schon sein“, schätzt Freude. Ob das Tier demnächst von der Liste gestrichen werden kann, ist unklar. Es könne sich auch um eine „kurzfristige Ausbreitungserscheinung“ handeln, die bald wieder verschwindet, sagt Freude. Echte Sorgen bereitet dem Chef des Umweltamts eher die Panikmache der Medien: „Wirklich schlimm wäre es, wenn deswegen jetzt alle anfangen würden, diese Spinnen totzuschlagen!“

Wenn sich Spaziergänger und Dornfinger also wirklich einmal über den Weg laufen, sollten beide Ruhe bewahren und weitergehen. Wahrscheinlich ist das Spinnenweibchen ohnehin gerade damit beschäftigt, seine Eier zu bewachen. „Wenn Sie sich rüpelhaft verhalten und der Mutter ihren Kokon zerstören, müssen Sie damit rechnen, dass sie sich das nicht gefallen lässt“, erklärt Freude. Netze spinnen Dornfinger übrigens eher selten: Sie jagen Insekten. Während das Weibchen sich um seine Brut kümmert, kann der Mensch seine Spinnensorgen auch noch diversifizieren. Denn auch eine Wasserspinnenart sowie die Eichenblattkreuzspinne könnten ihm gefährlich werden – wenn sie denn wollten.

In Wirklichkeit gehören Spinnen zu den Guten, versichert Mathias Freude. Er selbst habe ein Gläschen mit einem Dornfingerweibchen namens Emma auf dem Schreibtisch stehen. Und wenn es all die Emmas in unserem Land nicht gäbe, wäre innerhalb eines Jahres die gesamte Erdoberfläche fast 30 Zentimeter hoch von Insekten bedeckt. Das sei zwar die rein theoretische Betrachtung eines Wissenschaftlers, sagt Freude. Aber vielleicht ist die ja noch unappetitlicher als ein Spinnenbiss. ELISABETH RANK